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Psychisch krank? Sie sind nicht allein.

Warten Sie bitte nicht bis ein Klinikaufenthalt nötig ist! Es gibt Hilfe, aber Sie müssen den „ersten Schritt machen”. Eine Möglichkeit, schließen Sie sich einer Gruppe „Selbsterfahrener“ an!

In Augsburg bietet die Arbeitsgemeinschaft für psychische Gesundheit (AGPG), ein Sozialpsychiatrischer Dienst, psychisch Kranken Hilfe an.
Ich war vor vielen Jahren – nach einem langen Klinikaufenthalt – zu dem Sozialpsychiatrischen Dienst gekommen, und habe erkannt, dass meine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis nichts Einmaliges ist. Denn bei den Treffen in unserer Selbsthilfegruppe habe ich erlebt, wie ähnlich unsere Erfahrungen mit der Erkrankung sind. Keiner musste sich schämen, über das zu sprechen, was man sonst niemals erzählen würde. Aber unsere Gespräche betrafen nicht nur unsere Krankheit, sondern wir erzählten uns auch von unseren ganz „normalen“ Schwierigkeiten und den schönen Erlebnissen. So wurden wir Freundinnen. In den 20 Jahren, die wir uns nun schon treffen, sind leider zwei Damen bereits gestorben. Aber es kamen neue Teilnehmer dazu.

Ich selbst bin seit 23 Jahren stabil, und zwar nicht mehr in der Klinik. Ich habe den Schritt zur AGPG nie bereut. Die Mitarbeiter sind geschult im Umgang mit psychisch Kranken. Man wird stets freundlich empfangen.

Auch Einzelgespräche werden angeboten. Man fühlt sich nicht behandelt, sondern man wird respektiert, und man spürt ganz deutlich die Menschlichkeit. Mit viel Einfühlungsvermögen versuchen die Sozialpädagogen die Besucher der AGPG zu stützen und so zu beraten, dass der Patient, selbst zur Behandlung in eine Nervenklinik geht, wenn es nötig ist. Wenn er es wünscht, wird er von einer Vertrauensperson begleitet und auch in der Klinik besucht.

Für diese Hilfe muss man nicht bezahlen, aber Spenden sind willkommen. Durch die Diakonie ist die Arbeitsgemeinschaft für psychische Gesundheit eine Anlaufstelle für Menschen, die auf der Suche nach Hilfe sind. Und so sollte man die AGPG und auch andere derartige Gemeinschaften finanziell unterstützen, damit sie erhalten bleiben.

Für manche Besucher ist die AGPG eine neue Heimat geworden. Unzählige Angebote wie Handarbeiten und Basteln, Englisch lernen, Kegelabende und Sport sind im Programm. Man fühlt sich wohl und gut aufgehoben.

Immer mehr Menschen werden psychisch krank, um so wichtiger ist es, dass solche Organisationen vom Staat bezuschusst werden. Auch in meinem Wohnort – außerhalb der Stadt – ist eine Außenstelle der AGPG, in der man ebenfalls hervorragend versorgt ist.

Ziehen Sie sich nicht zurück, sondern haben Sie den Mut, den Schritt zu wagen, Und Sie werden sehen, dass diese Hilfe dazu beiträgt wieder festen Halt zu finden.
Ich persönlich habe es geschafft und wünsche Ihnen psychische Gesundheit und alles Gute.
Angelika Kurella

Wer schützt die Fixierten?

Wer nie selbst betroffen war, den werden meine Berichte über die Behandlung in einer Nervenklinik wohl nicht interessieren. Aber man sollte bedenken,  dass jeder Mensch psychisch krank werden könnte.
Mit der Erlaubnis der Betroffenen schreibe ich schon seit Jahren Berichte über die Behandlung von psychisch Kranken in einer Nervenklinik. Ich hoffe, dass sich diese Art von Behandlung schnell ändert, Denn unter dem Motto „moderne“ Psychiatrie wird in dem psychiatrischen Krankenhaus nicht selten die Würde der Erkrankten verletzt.

Als ich 1998 das erste Mal als Besucherin auf die geschlossene Stationen durch zwei verschlossene Türen kam, war ich erschüttert über die Zustände! Trotz unzähliger Beschwerden haben sich die Zustände bis heute nicht verändert.

Als Psychiatrie-Selbsterfahrene hatte ich bis dahin noch Verständnis dafür, das auf einer geschlossenen Station leider eine Zwangsbehandlung der Patienten erforderlich ist. Es klingt vielleicht seltsam, aber ich hatte einen Vorteil, um zu beurteilen, was als gute Behandlung anzusehen wäre. Was ich aber erkennen konnte, war vor allem eine Misshandlung der Patienten.

Vor 40 Jahren war ich selbst Patientin auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Klinik. Damals wurden Patienten ans Bett „fixiert“ – um sie vor sich selbst – und auch die anderen Patienten und das Pflegepersonal zu schützen. Aber wer schützt die FIXIERTEN?

Weil ich das selbst erleben musste, kann ich auch den Ärzten berichten, wie man sich als FIXIERTE fühlt. Aber das wollte KEINER in der Klinik wissen, denn ich wurde ja vor 40 Jahren so behandelt. Damals war das also noch nicht die „moderne Psychiatrie“. Außerdem bin ich ja nicht ausgebildet…

Wen interessiert schon, was vor 40 Jahren war? Mich!. Denn vor 40 Jahren waren es doch wohl auch Menschen, die ans Bett gefesselt waren, und gezwungen wurden ihre Notdurft ins Bett zu verrichten. Dabei hatte ich noch Verständnis, dass man in Einzelfällen Menschen fixieren muss, dass aber die Fixierten noch heute zum Einnässen und Einkoten gezwungen sind, sehe ich als Misshandlung an.

Nach unzähligen Beschwerden an die Klinikleitung, die Pflegedienstleitung, den obersten Direktor der Krankenhäuser habe ich das EINE erreicht, ich konnte einen Bericht über diese Art der Behandlung in der lokalen Zeitung veröffentlichen. Und ich hatte den Mut die Wahrheit zu sagen, obwohl eine Patientin, die mir sehr nahe steht, wieder in dieser Klinik in stationärer Behandlung war.

Und das ist sie aktuelle Situation:
Weil ich es wagte, die Klinik, deren Name in dem Zeitungsbericht genannt wurde, anzugreifen, bekam ich ein Hausverbot mit der Ausnahme, die mir nahe stehende Person zu besuchen. Was aber dann kam, ist eine Straftat. Jetzt musste die Patientin leiden, weil ich über die abscheuliche Behandlung berichtet hatte.

Auch das Amtsgericht/Betreuungsgericht stellte sich gegen mich, denn die Patientin steht seit 1999 unter gesetzlicher Betreuung. Es ist kein Einzelfall, dass in der modernen Psychiatrie  die Angehörigen nicht einmal informiert werden, dass der Patient „betreut“ werden sollte.
Das ist eine List, denn ein vom Gericht eingesetzte Betreuer verdient mit der Betreuung seinen Lohn, und er hat nicht die persönliche Bindung zu seinem Klienten. So werden die Angehörigen ausgeschlossen – man könnte auch sagen „ruhig gestellt“.
Und der Patient ist AUSGELIEFERT!
So wurde auch meine Ehrlichkeit benutzt. Und nachdem klar war, dass ich selbst vor Jahren erkrankt war, wurde ich ganz einfach für „psychisch krank“ erklärt. Auch eine Richterin des Amtsgerichts/Betreuungsgerichts nimmt sich dieses Recht, obwohl Sie mich noch nie persönlich kennen lernen konnte. Also eine richterliche FERNDIAGNOSE!

Für diese unverschämte und gemeine Art und Weise soll ich Verständnis zeigen? Auf keinen Fall, denn dann wäre ich wirklich nicht bei normalen Verstand. Um der ganzen Sache Herr zu werden, habe ich als Beistand eine Fachanwältin beauftragt, denn jetzt kämpfe ich um das Recht, das mit zusteht.

Die Wahrheit tut  oft weh! Schon seit Jahren schreibe ich Berichte, um psychisch Kranke zu schützen vor einer Behandlung, die gegen das Gesetz der Menschenwürde verstößt, und doch gesetzlich erlaubt ist. Vielleicht sollte man die Angehörigen der Patienten einmal anhören! Das wäre der Beweis!
Man sollte beachten, dass wir hier von einer seelischen Erkrankung sprechen, die man durch eine gute Behandlung durchaus in einen „stabilen“ Zustand bringen kann. Zu der Behandlung gehören meist Medikamente, aber auch die Krankenpflege. Und wenn die Pflegekräfte besonders geschult sind, sollten sie das ausüben, was sie gelernt haben. Das müsste man erwarten können.
Besonders auf den geschlossenen Stationen wird ihnen sehr viel abverlangt. Denn auch die Pflegekräfte sind „eingesperrt“. Wenn sie von der Station in ihrer „normales“ Leben zurück gehen, brauchen sie jeden Tag Zeit, um das Erlebte zu verkraften. Und es ist klar, dass sie auf ihre eigene Gesundheit achten müssen. Pfleger, die mit psychisch Kranken in einer menschlichen Art umgehen, sollten mehr respektiert werden, als es der Fall ist. Denn es bedarf einer hohen Selbstbelastung, die schwer Erkrankten zu pflegen. Dieser Beruf sollte eine Berufung sein und auch bleiben.

Ich hoffe sehr, dass diese Art von schlechter Behandlung nur in dieser Klinik so vollzogen wird. Die Patienten sind mir dankbar, dass ich weiterhin die Öffentlichkeit informiere, denn sie wissen dass ich EINE von IHNEN bin. Auch wenn ich es geschafft habe „stabil“ zu werden, denn ich hatte Hilfe von Menschen, die mich liebten, und die mich nicht alleine ließen. Meine Eltern und später mein Ehemann, meine Töchter und meine Verwandten gaben mir Kraft. Medikamente waren notwendig, aber ohne menschliche Zuwendung wäre ich nie stabil geworden.

Hinter den verschlossenen Türen der Psychiatrie fehlen der Respekt und die Menschlichkeit! So darf es nicht weitergehen!

 

Die kataton/hebphrene Psychose ist nicht unheilbar

In der Zeitung liest man oft, eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis kataton/hebephren sei eine unheilbare Erkrankung.

Ich stimme dieser Aussage nicht zu, auch wenn das Professoren schreiben.

Ein gutes Beispiel dafür, dass man stabil werden kann – mit dieser Diagnose – bin ich selber.
Mit 16 Jahren wurde ich das erste Mal in einer Nervenklinik behandelt und musste viele Jahre geschlossen untergebracht werden. Ich lebte in einer Schattenwelt, und heute kann ich ein „ganz normales” Leben führen.
Aber ich muss bestimmte Gebote beachten.
Ich nehme ein Medikament, das mich nicht in die durchlebte, schwere Erkrankung zurück fallen lässt. Jahrelang wurde ich mit Psychopharmaka regelrecht vollgepumpt, und kam stets unstabil wieder aus der Klinik. „Gott sei Dank“ wurde ich nie gesetzlich betreut, so wie meine Tochter, die ebenfalls psychisch krank ist. Leider ist sie dazu auch noch alkoholkrank.

Immer wieder werde ich an meine Psychose erinnert, denn meine Tochter – ich nenne sie einfach A. – leidet an derselben Form. Aber jeder Mensch ist anders – und deshalb zeigt sich auch in der Erkrankung selten das ganz selbe Bild.
Kurz gesagt, meine Tochter hat, selbst im Wahn, öfters Lücken, die sie als vollkommen normalen Menschen zeigen. Ich muss sagen „Gott sei Dank“. In meiner Psychose stand immer ein Jahr lang der Wahn an erster Stelle. Eine Kranke wie meine A: kann also – zeitweise – entscheiden wie eine Normale.
In meinem Fall war nicht einmal ein Gespräch möglich.
Ein Beispiel: Visite – der Arzt zu mir: „Wie geht’s Ihnen?“ Ich: „Gut, ich will heim.“ Es folgten Tränenausbrüche, und das Gespräch war beendet. Auch meine treuen Besucher, wie meine guten Eltern und viel später mein treuer Ehemann hörten den gleichen Satz, und danach weinten die Besucher mit mir.
So kann man sagen, die Psychose meiner Tochter ist die leichtere Form.

Leider ist es aktuell so, dass bei meiner A. (krank seit 1998) nun zum ersten Mal Geister und Dämonen in der Psychose präsent sind. Und so zeigt sich die schwerere Form, die für A. und auch für mich sehr leidvoll ist.
Ein Beispiel: A. sagt, ich bin nicht die A., sondern ich bin meine Zwillingsschwester H. (Diese Zwillingsschwester ist nur einen Tag nach der Geburt verstorben).
Oder: „Du bist nicht meine Mama, sondern meine Oma”. Sie erkennt in mir meine verstorbene Mutter, die meine Mutterpflichten übernehmen musste – bzw. wollte, als ich in der Nervenklinik war.

Meine Tochter A. zeigt aber auch etwas, das in meiner Psychose niemals zu erkennen war.
A. ist aggressiv und gewaltbereit und muss fixiert werden, weil sie fremdgefährdend ist. Leider ist das zur Zeit der Fall, so dass die Fixierung nötig ist zu ihrem Schutz.

Tragisch ist, dass A. auch immer meine Stabilität ins Wanken bringt, denn ich leide mit ihr. Das ist das Normalste: jede Mutter sorgt sich um ihr Kind, auch wenn das Kind schon 33 Jahre alt ist.
Aber ich leide ganz besonders, denn ich habe es gwagt, Kindern das Leben zu schenken. Meine erste Tochter war und ist kerngesund und nur 10 Monate älter als A.. So habe ich drei Kinder in einem Jahr geboren. Nicht geplant – und doch ist’s so. (gottgewollt?)
Ich wollte schon Kinder, als ich mit Puppen spielte, und so wagten mein Ehemann und ich Kinder in die Welt zu setzen. Der einzige Trost ist die Aussage meiner Nervenärztin: „Geben Sie sich bitte nicht die Schuld, es erkranken unzählige Menschen, deren Mutter und Vater kerngesund sind.“

Und doch gebe ich mir die Schuld! Meine gesunde Tochter ist 34 Jahre alt und verzichtet darauf Mutter zu werden. Sie muss auch – voll Leid – zusehen, wie krank ihre Schwester ist, und leider haben meine Kinder in ihrer Kindheit die Trennung von mir ertragen müssen. Der Trost war meine Mutter, die ein starker Mensch war, und die leider schon verstorben ist.
So bemühe ich mich Stärke zu zeigen, und es ist unsagbar schwer, nur hilflos zuzusehen!

Eine Therapie, die hilft gesund bzw. stabil zu werden, steht auf mehreren „Säulen“:

–         Gute Krankenpflege durch geschultes Personal und Nervenärzte, die auch Menschlichkeit zeigen. Nur dann kann man das Vertrauen der Erkrankten gewinnen.

–         Medikamente – schonend dosiert.

–         Therapien, z.B. Beschäftigungs- und Sporttherapie, Gruppentherapie.

–         Betreuung durch Sozialpädagogen und Psychologen – auch auf den geschlossenen Stationen.

–         Einbeziehung der Angehörigen.

–         Besuchsdienst auch auf den geschlossenen Stationen durch Mitglieder einer Gruppe von Selbsterfahrenen, denn wer etwas selbst erlebt hat, braucht nicht studiert zu haben

Alle diese Hilfen müssen miteinander verschmelzen. Leider wird das aktuell noch nicht so vollzogen.
Ohne gegenseitiges Vertrauen gibt es keinen Behandlungserfolg.

„Das Fehlen von Freiheit ist ein Schmerz, der auf Dauer verrückt macht.“(Sansal) Zur Diskussion um das geänderte Betreuungsrecht

Der folgende Text ist so etwas wie ein Up-Date des Artikels . Krankheitseinsicht als höchste Form der Selbstbestimmung in den hilfe Blättern von EREPRO Nr.15, S. 34, und bringt diesen auf einen aktuellen Stand. Hier geht es ausschließlich um Zwangsausübung im Bereich von rechtlichen Betreuungen, die durch das “Betreuungsgesetz” geregelt ist. Über andere Möglichkeiten, legal Zwang auf Menschen mit psychischen Problemen auszuüben, informiert ein kurzer Kommentar von EREPRO unten.

Eigentlich eine gute Sache. Wer Hilfe braucht, weil er in einem Lebensbereich nicht zurecht kommt – sei es aus psychischen Gründen  oder wegen einer geistigen Einschränkung, der hat Anspruch auf Hilfe durch einen Betreuer.

Mein Bekannter Oliver T. hat sich seinen Betreuer selber ausgesucht. Er vertraut ihm, weil er sich dafür einsetzt, für ihn das Beste zu erreichen. Eines Tages aber meinte der Betreuer, Oliver blicke nicht richtig durch, was gut für ihn sei, nämlich ein Klinikaufenthalt in der Psychiatrie. Beide konnten sich nicht einigen, und der Betreuer hat dann mit Genehmigung eines Richters den Klinikaufenthalt durchgesetzt. Zwangsweise. Er ist für den Bereich „Gesundheit“ zuständig und könnte Oliver sogar zwingen in der Klinik Medikamente einzunehmen, die er nicht schlucken will.

Halt! Das hat sich gerade geändert.
Hier ist die Geschichte des geänderten Betreuungsgesetzes.

Wegen der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (BRK), welche die Verwirklichung des Rechtes auf Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung garantiert, und seit 2009 auch in Deutschland gilt, musste das Gesetz für solche rechtlichen Betreuungen geändert werden.
Die Bundesregierung hat gerade eine sehr schöne Broschüre herausgegeben, in der dieses neue „Betreuungsrecht“ beschrieben wird. (Übrigens – Mitte Juni 203 wurde beschlossen, die Hürde zur Einrichtung einer rechtlichen Betreuung zu erhöhen, weil es sinnvoll ist, vorher andere Hilfsmöglichkeiten auszuschöpfen!)
Neu ist, dass der Betreuer jetzt die Erlaubnis von Richtern beim Betreuungsgericht beantragen muss, um gegen den Willen des Betreuten eine Medikamentenbehandlung in der Klinik erzwingen zu können. Und diese richterliche Erlaubnis ist auch noch an bestimmte Bedingungen gebunden. Ein großer Fortschritt – findet Oliver!

Trotzdem hat das neue Betreuungsgesetz ein allgemeines Wehklagen und harsche Kritik ausgelöst: “Ein neues Zwangsgesetz” – hieß es. Viele Verbände und Medien beklagten, dass es Zwangsbehandlungen ermögliche und sahen das Ende der – vom Grundgesetz und von der BRK gewährleisteten Selbstbestimmung derjeniger Bürger gekommen, die einen Betreuer brauchen. Besondere Groteske der Gesetzgebung: gleichzeitig mit diesem “Zwangsgesetz” wurde ein neues „Patientenrechtegesetz“ verabschiedet, das die Autonomie der Patienten stärken soll!
Sogar der Bundesregierung scheint die Angelegenheit mit dem novellierten Betreuungsgesetz nicht ganz geheuer gewesen zu sein! Denn sie hat dieses Gesetz quasi klammheimlich verabschiedet: im Schnellverfahren und versteckt in einem Gesetz zum internationalen Unterhaltsrecht, wo niemand das Betreuungsrecht vermutete  – wohl um eine öffentliche gesellschaftliche Diskussion darüber zu vermeiden.

Große Hoffnungen haben behinderte Menschen mit der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) verbunden, weil sie u.a. die in der Psychiatrie üblichen Einschränkungen der Selbstbestimmung nicht erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht hat – auf die Klage von Betroffenen hin – tatsächlich gesetzliche Regelungen gekippt, die diesem Selbstbestimmungsrecht widersprachen.
Auch der Bundesgerichtshof hat vor knapp einem Jahr verkündet, dass ein Betreuer die unfreiwillige Medikamenteneinnahme bei einem Klinikaufenthalt seines Betreuten nicht erzwingen dürfe: es fehle eine klare gesetzliche Regelung dafür. Menschen mit psychischen Problemen und Betreuung konnten seitdem selbst entscheiden, ob und welche Medikamente sie nehmen. Jubel bei den Psychiatrieerfahrenen! Bei denen aus gutem Grund große Skepsis herrscht gegenüber Psychopharmaka, vornehmlich wegen der gefährlichen Neuroleptika. (Nicht umsonst beziehen sich ein Großteil aller Beschwerden in der Psychiatrie auf die medizinische Behandlung.)
Auch in  den hilfe Blättern von EREPRO Nr. 15 über Selbstbestimmung in der Psychiatrie sahen wir dadurch einen „Hoffnungsschimmer“ für mehr Selbstbestimmung durch diese neuen Gerichtsurteile (S. 34).

Aber wie zu erwarten gab es in dieser Situation starken Gegenwind: vor allem der Ärzteverband “Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)” lief gegen diese Selbstbestimmung der Betroffenen Sturm, malte Riesengefahren an die Wand, und legte sich enorm ins Zeug – mit Begleitschutz durch die Pharmaindustrie – (auch aus Angst der Ärzte vor mutmaßlich strafbarer „unterlassener Hilfeleistung“), um die Zwangsmedikation durch ein “verbessertes” Gesetz wieder möglich zu machen –  trotz der BRK. Das ist dem Verband und den Lobbyisten gelungen, wir haben das neue Gesetz.
Die konsequente Verwirklichung der gesetzlich garantierten Freiheit und Selbstbestimmung von Psychiatriepatienten hielt also leider nur ein paar Monate an – bis zur Verabschiedung dieses neuen Betreuungsgesetzes am 26.3.2013.
Immerhin lange genug, dass der Chefarzt Dr. Zinkler Belege dafür liefern konnte, dass und wie es ohne Zwangsmedikation geht, weil Menschen durch Gespräche überzeugt werden können, freiwillig die notwendigen Medikamente zu nehmen, auch wenn dafür Zeit und auch Geduld der Mitarbeiter erforderlich sind. Und entgegen aller Bedenken der Psychiater wurde in dieser Zwischenzeit auch nichts bekannt über Unglücke und Gewaltausübung durch psychisch kranke Menschen, die ohne Medikamente lebten. Das berichtet Rudolf Marschner.

Das neue Gesetz bedeutet natürlich wieder einen Schritt zurück. Es sei nur eine „kosmetische Behandlung des vorherigen Betreuungsgesetzes“, meint der Anwalt für Betreuungsrecht Eckart Wähner, Mit-Initiator der Internetseite www.zwangsbehandlung.psychiatrierecht.de.
Übrigens haben sich die Grünen bei der Abstimmung über dieses Gesetz im Bundestag nur enthalten, während die Linke es abgelehnt und mit “Nein” gestimmt hat.
Oliver T. kann jetzt von seinem Betreuer zwangsweise in eine Klinik gebracht werden und muss dort auf Wunsch des Betreuers auch unfreiwillig ärztlich verordnete Medikamente nehmen.  Allerdings nur – und das ist neu – mit Zustimmung eines Richters vom Betreuungsgericht. Und der muss sich einen persönlichen Eindruck von dem Patienten verschaffen, indem er ihn “anhört”.

Hier handelt es sich um ein Bundesgesetz. Weitere „Zwangsgesetze“ für psychisch kranke Menschen gibt es in jedem Bundesland. Die betreffen nicht Betreuungsangelegenheiten, sondern „Selbst- und Fremdgefährdung“ durch Menschen mit psychischen Problemen.
Auch diese Gesetze müssen in jedem der 16 Bundesländer seit Geltung der UN-Behinderten-rechtskonvention (BRK) geändert werden. Das Verfassungsgericht hat schon für Hessen, Baden-Württemberg und Sachsen gesagt, dass deren vorhandene gesetzliche Regelungen verfassungswidrig sind und der Selbstbestimmung von Psychiatriepatienten nicht ausreichend Rechnung tragen. Sechs Bundesländer (Baden-Württemberg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein) müssen sich die Kritik gefallen lassen, sich um die Änderung ihrer Psychiatriegesetze noch nicht ausreichend gekümmert zu haben.

 

Die Disskussion um das Gesetz.
Das Thema Zwangsmaßnahmen gegen Psychiatriepatienten wird uns also noch einige Zeit beschäftigen. Diskutiert werden muss, ob man den Zwang tatsächlich braucht, und wenn ja – wie dabei die Selbstbestimmung von geistig und psychisch behinderten Menschen angemessen berücksichtigt werden kann.
Um die notwendige öffentliche Diskussion über diese komplizierten Fragen voran zu bringen, hatten der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hüppe versucht das klammheimliche Verabschieden des neuen Betreuungsgesetzes im „Eilverfahren“ zu unterbinden, und durchgesetzt, dass wenigstens die Verbände der Psychiatrieerfahrenen und der Angehörigen noch in die Diskussion des Gesetzentwurfes im Rechtsausschuss des Bundestages einbezogen wurden und ihre Meinungen darlegen konnten. Trotzdem ist die Diskussion in der Öffentlichkeit längst nicht breit genug geführt worden.
Im Folgenden wollen wir kurz die wichtigsten Diskussions-Punkte aus der Anhörung im Rechtsausschuss nennen.
–          Es muss immer geprüft werden, ob nicht andere (therapeutische) Maßnahmen möglich sind, die der betreute Patient besser akzeptieren kann als die geplante Zwangsmaßnahme, um diese damit zu vermeiden.
–          Wenn das nicht möglich ist, sollte – ebenso wie hinsichtlich der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit der Zwangsmaßnahme – eine Pflicht zur schriftlichen Begründung bestehen.
–          Der mögliche Nutzen der Zwangsbehandlung muss unbedingt größer sein als der mögliche Schaden – fordert das neue Betreuungsgesetz. Klar ist das nicht! Zählt der lebenslange Schock, den das Erlebnis einer Zwangsmaßnahme bei Patienten auslösen kann, als Schaden?
Und Oliver T. definiert Schaden und Nutzen sicher anders als manch ein Psychiater: Oliver zieht eine länger dauernde Psychose ohne Medikamentenbehandlung den Schädigungen der Nieren und des Herzens durch ruhigstellende und „normalisierende“ Neuroleptika unbedingt vor.
–          Aber wird man sich überhaupt darum kümmern, was der Betreute will? Kann er seinen Willen durchsetzen? Werden die Ärzte vorher mit ihm über die geplante Behandlung sprechen, ihn informieren?  Wird er von dem Richter vor der Genehmigung der Zwangsmaßnahme wirklich angehört? Wird man sich bemühen, seinen „mutmaßlichen Willen“ zu ermitteln? Müssen die Ärzte sich einsetzen, seine Patientenverfügung zu finden, und sich dann daran halten?
–          Vor Einsatz einer Zwangsmaßnahme wird jeder Patient eine Karenzzeit brauchen, um sich damit auseinander zu setzen und sich vorzubereiten – auch um eventuell gegen die geplanten Zwangsmaßnahmen vorgehen zu können.
–          Welcher Zustand eines Menschen rechtfertigt überhaupt den Gerichtsbeschluss einer Zwangsmaßnahme? Die berühmt-berüchtigte „Einsichtsunfähigkeit“ ist denkbar unklar definiert. In der BRK gibt es sie gar nicht. „Das neue Gesetz nennt keine Standards – weder diagnostisch noch therapeutisch – wie vom Verfassungsgericht gefordert“, klagt der Verband der Psychiatrieerfahrenen. Sogar der Hartmannbund (Ärzteverband) kritisiert, dass der Gesetzgeber die Psychiater mit diesem schwammigen Begriff der „Einwilligungs(un)fähigkeit“ alleine lasse.  
–          Wer bestimmt nun als Gutachter für das Betreuungsgericht, ob diese (Zwangs-)Behandlung wirklich notwendig ist? Kann der behandelnde Psychiater begutachten, oder nur ein unabhängiger Fachmann? Vielleicht sogar besser zwei, die in der Einschätzung des Patienten übereinstimmen müssen?  Welche Qualifikation des Gutachters garantiert seine Kompetenz als Sachverständiger in dieser wichtigen Angelegenheit? Der Gesetzgeber hat sich entschieden, die Ausbildung als Psychiater als ausreichend zu betrachten, und zunächst für 6 Wochen den behandelnden Psychiater als Gutacher zuzulassen. Erst bei Verlängerung der Zwangsmaßnahme wird ein außenstehender Gutachter gefordert. Hier ist Skepsis angebracht. (Vor Kurzem ist eine „Unabhängige Beschwerdestelle für psychologische Gutachten in Hessen“ gegründet worden, die erste ihrer Art in Deutschland.)
–          Die Genehmigung des Gerichtes sollte genau festschreiben, wie viel von welcher Zwangsmedikation für welchen Zeitraum genehmigt wird, und die Ärzte beim Vollzug verpflichten, genau darüber zu berichten.
–          Neu ist, dass das Gericht bei der Genehmigung einer Zwangsmaßnahme immer einen Verfahrenspfleger bestellen muss, der sich – als Verbindungsglied zwischen Betroffenem und Gericht – um die ordnungsgemäße Durchführung des Gerichtsverfahrens kümmert.
In der Praxis kann man sich diesen nicht selbst aussuchen, so dass nicht garantiert ist, dass er auf der gleichen Linie liegt und dieselben Werte vertritt wie der Betreute. Der entsprechende Rechtsanwalt könnte ja auch ohne weiteres dem Vorurteil aufsitzen, dass psychisch Kranke gefährlich seien und weggesperrt werden müssen! Es gibt eine Internetseite, auf der Rechtsanwälte und Verfahrenspfleger Tipps und Ideen finden,  wie sie ihr Mandat zur Verhinderung einer Zwangsbehandlung erfolgreich umsetzen können.
–          Es sollten obligatorisch Statistiken angefertigt werden für das statistische Bundesamt. Bisher gibt es keine verlässlichen Zahlen über genehmigte und durchgeführte Zwangsnahmen weder auf Bundes- noch auf Länderebene. Das ermöglicht eine gewisse Kontrolle.

 

Kontrolle von Zwangsmaßnahmen.
Das Deutsche Menschenrechtsinstitut hat sich ebenfalls eindeutig gegen das neue Betreuungsgesetz ausgesprochen. Seit 2001 gibt es in Deutschland ein solches Institut, das die Aufgabe übernommen hat, durch die sog. Monitoringstelle die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) zu kontrollieren. Auf deren Homepage, wird zwar betont, dass man sich um konkrete Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen nicht kümmern könne, und nur in ausgewählten psychiatrischen Einrichtungen Inspektionsbesuche durchführe, aber durch Hinweise auf Missstände könne eventuell Einfluss darauf genommen werden, welche psychiatrische Klinik “besucht” werde.

Es ist noch nicht lange her, dass Zwangsmaßnahmen (Fixierung, Isolation, Verabreichung von Psychopharmaka) gegen Menschen, die unfreiwillig in der Psychiatrie untergebracht sind, auch offiziell als Folter eingestuft werden können. Seit 2009 arbeitet – angeschlossen an das Menschenrechtsinstitut – auf Bundesebene eine „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“. Allerdings hat sich der UN-Anti-Folterausschuss bereits im Jahr 2011 mit dieser „Nationalen Stelle“ in Deutschland befasst und sich sehr besorgt über deren unzureichende Ausstattung geäußert, die sie an einer angemessenen Erfüllung ihres Überwachungsauftrags hindert. In den einzelnen Bundesländern nehmen sog. „Länderkommissionen” seit 2010 diese Kontrollaufgabe wahr (s. auch Bündnis gegen Folter in der Psychiatrie).
E. Méndez hat in der 22. Sitzung des “Human Rights Council” am 4. März 2013 Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu Folter, bzw. grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung erklärt.

Bei der UN-Anhörung – alle zwei Jahre – zuletzt am 25. April 2013 war die Menschenrechtssituation in der Bundesrepublik Deutschland zum zweiten Mal Gegenstand des „Universal Periodic Review Verfahrens“ des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Ein Mitarbeiter des Menschenrechtsinstituts musste sich mit der Kritik anderer Länder an der hiesigen Menschenrechtssituation auseinander setzen: u.a. ging es um das politische Wahlrecht von Psychiatriepatienten, das in Deutschland einigen Menschen – auch im Zuammenhang mit Betreuungen – vorenthalten wird. Diese Information erreichte erst vor Kurzem eine breitere Öffentlichkeit durch Hinweise von Gustl Mollath. Durch die Anteilnahme der Bevölkerung an seinem Schicksal wurden Zustände in der Psychiatrie sichtbar, für deren menschenrechtwidrigen Aspekte sich bisher kaum jemand interessiert hatte.

In den letzten Jahren ergab sich ein neuer Fallstrick in der Psychiatrie, denn Selbstbestimmung von Psychiatriepatienten ist mit einer ausschließlich “gehirnorientierten Psychiatrie” und deren Ziel einer “Normalisierung” von psychisch kranken Menschen nicht vereinbar. Nicht alle Menschen sind zu locken mit der Aussicht auf medikamentös ermöglichte Anpassung an die Verhältnisse. Die Psychiatrie sollte es Menschen (wie meinem Bekannten Oliver T.) erlauben, ihre Störungen kennen und akzeptieren zu lernen. Er wünscht es sich, es hilft ihm. Und wir sind gefordert zu diskutieren: Wie viel Verrücktheit kann toleriert werden?
Es ist damit eine ganz neue Form von menschenunwürdigem Zwang entstanden, der die Selbstbestimmung von Patienten im Sinne der BRK aushebelt. Konkret: die AOK Niedersachsen “verkauft sich und ihre Mitglieder gerade an den amerikanischen Konzern Johnson & Johnson. Diese Privatisierung hat den nassforschen Namen ‘Care 4 S’ – das S steht für Schizophrenie. Dahinter verbirgt sich eine deutsche Tochterfirma von J&J: die Janssen-Cilag-GmbH. Die stellt Psychopharmaka her – und gründete zusammen mit der AOK Niedersachsen ein Institut für Innvoation und Integration im Gesundheitswesen. (die I3G GmbH). Diese Gesellschaft ist nun für die Installation eines ‘neuen ambulanten Versorgungsystems’ verantwortlich.” soweit die Schilderung des Publizisten Helmut Höge i Der Freitag vom 13.9.2012.
Riesige Diskrepanzen hinsichtlich Macht und Ressourcen zwischen den an der gesellschaftlichen Aufgabe “Psychiatrie” Beteiligten verlangen den Schutz der schwächeren Partner, nämlich der Hilfesuchenden, die sich ihre Krankenkasse praktisch nicht aussuchen können. Wenn die gesetzlichen Krankenkassen – wie hier die AOK – in die Hand von finanzstarken Pharma-Konzernen geraten, ist eine neue Art von Entgleisung der Psychiatrie zu verzeichnen, die die öffentliche Verwaltung zur Regulation auf den Plan rufen sollte.

Hier durch Kontrolle Abhilfe zu schaffen, ist eine große gesellschaftliche Aufgabe, bei der weniger das Personal vor Ort als der Gesetzgeber gefordert ist. Und dann in der Konsequenz auch die Geldgeber. Denn eine menschenwürdige Hilfe und Pflege ist personalintensiv und kostet Geld. Die Finanzierung sollte ausdrücklich auf das Ziel der Wahrung von Würde und Selbstbestimmung Hilfsbedürftiger zugeschnitten sein. Solange geringfügige Aufstockungen des Personals kleckerlesweise der öffentlichen Hand abgetrotzt werden müssen, ist eine angemessene Betreuung von Bürgern, die auf Hilfe angewiesen sind, nicht möglich. Die Ziele für den Umgang mit Psychiatriepatienten stehen heute nicht mehr zur Disposition, seit die Bundesrepublik die UN-Behindertenkonvention unterzeichent hat. Individuell angemessene Hilfen müssen garantiert werden.

Erforderlich ist zunächst eine kompetente, umfassende Planung dieser gesellschaftlichen Aufgabe mit ihren verschiedenen Arbeitsbereichen und Durchführungsebenen. Darum unterstützt EREPRO die Forderung des Menschenrechtsinstituts nach einer Enquete zur Reform der Psychiatrie. (Die Bundesjustizministerin will die Einweisung in die Psychiatrie neu regeln. So ging es neulich durch die Presse. Das könnte ein erster Reformschritt werden!)
Bis die Psychiatrie aus ihrem Schattendasein heraustreten und zu einem anerkannten, verläßlich verifizierten Fachgebiet werden kann mit Helfern, die wissen was sie tun, und tun (können) was sie wissen, ist es noch ein langer Weg. Die Variationsbreite der Wertorientierungen in der Psychiatrie – bei den Hilfesuchenden und den Helfern – bedingt den hohen Stellenwert von Selbstbestimmung, wenn die Psychiatrie nicht zu einer Korrekturanstalt verkommen soll. Die Vielfalt unseres gesellschaftlichen Lebens wird sich in einer lebendigen, humanen Psychiatrie wieder finden.

 

Eine Berufung für gescheiterte Menschen. G. Springmann

Ein Mensch, der psychisch krank wird, fällt auf.
Er kann sich seiner Umgebung nicht anpassen. Die Frage, ob eine psychische Erkrankung hirnorganisch bedingt ist, ist eindeutig geklärt. Jene Mängel und Defekte, die sich auch im sozialen Leben zeigen und dort zum Ausdruck kommen – in Familie, Beruf, in allen gesellschaftlichen Verrichtungen, besonders im Umgang mit anderen Menschen, versucht man zu beheben und ihnen abzuhelfen, indem man Medikamente verordnet, die das Leiden lindern sollen.

Psychische Krankheiten haben eine lange Entwicklungsgeschichte, die beim einzelnen Menschen von früh auf angelegt ist. Unter bestimmten Bedingungen kommt die Krankheit um Ausbruch, oft erst im Erwachsenenalter.
Ein Mensch ist immer ein Individuum, das sich von anderen Menschen in Ausdruck, Darstellungsweise, Intelligenz, Fähigkeiten, Talenten, Geben und Gebaren unterscheidet.
Da gibt es die temperamentvollen, beredsamen, sehr ausdrucksstarken Menschen, die sich gut mitteilen können. Man begreift sie als interessant und auch sehr gesellig, auf andere zugehend, mutig und draufgängerisch. Daneben gibt es die eher Schüchternen, manchmal langweilig wirkenden Menschen, die mit sich nichts anfangen können, und die sich in Gesellschaft sehr unbeholfen und schwerfällig bewegen. Die meisten dieser Menschen – ob sie nun verschlossen oder offen sind, zeichnen sich durch besondere Fähigkeiten aus, und sie können durchaus kreativ und  produktiv sein. Die Einen sind eben geduldig, langsam, beharrlich, zurückhaltend  und gelegentlich auch genau, die Anderen beweglich, effektiv, äußerlich erfolgreich und auffallender, anpackend, gestalterisch, genialisch und wirklich bewegend. Sie sind etwas spontaner.

Beide Typen können durchaus eine gewisse Faszination ausstrahlen und haben ihre Qualitäten.. Der Charakter des Menschen, seine Veranlagung, sagt nichts darüber aus, ob er sympathisch ist und bei anderen Menschen ankommt.

Es gibt Menschen, welchen man eine psychische Krankheit zuschreiben muss, vielleicht weil sie nicht so leistungsstark sind, unter Depressionen leiden, sich abschließen, unverständliche Taten begehen, weil sie in ihrem Verhalten fremdartig wirken: trotzdem muss man ihnen bescheinigen, dass sie nie im kriminellen Bereich aufgefallen sind.
Objektiv ist festzustellen, dass sie große Schwierigkeiten im Umgang mit der Umwelt haben. Leider ist der psychisch kranke Mensch, der nicht dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht, gewissen Vorurteilen ausgesetzt, die tief verwurzelt sind, die nicht langsam verschwinden, sondern im Gegenteil sich immer mehr vertiefen und in der Gesellschaft verbreiten.

Der “Normale” hat die Dinge ja im Griff und meistert das Leben, ohne ihn gäbe es nicht den “Fortschritt”, der in einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft besteht und sich darin zeigt, dass alles kälter, gefühlsärmer, brutaler, unbarmherziger, seelenloser wird, und in einem Kampf eines Jeden gegen Jeden endet. Der “Normale” braucht Schuldige, Opfer, Schwache, an denen er seinen Zorn, seine Wut auslassen kann. Sonst könnte er nicht überleben. Der “Normale”, der in seine Arbeit vernarrt ist, sieht nicht die Lösung, erkennt nicht den Hoffnungsschimmer am Horizont, der ihn aus seinem Irrweg erlösen könnte. Er ist auf seinen persönlichen, kurzsichtigen Vorteil bedacht.

Es gibt Leute, die dazu berufen sind, auf Hoffnungen, Tendenzen hinzuweisen, die aus der Misere führen könnten, Politiker, Künstler, Schriftsteller, Aufklärer – und auch die Funktion psychisch kranker Menschen, die gescheitert sind, könnte hier eine positive, verheißungsvolle Rolle spielen. Sofern diese bereit sind, ihre Negativ-Image zu verlassen, an sich zu arbeiten und Lehren aus ihrer schwierigen Situation zu ziehen, die nicht so verzweifelt ist, wie sie auf den ersten Blick aussieht.
Man muss ein neues Menschenbild gewinnen.

Heute, das hat auch die Psychologie erkannt, ist nur der aktive, handelnde, extrovertiert, lachende, positive, kooperative und flexible Mensch gefragt, der immer in Bewegung ist, der unkritisch sich durch nichts irritieren lässt, permanent produktiv alles energisch anpackt und  immer etwas leistet.
Dieser Mensch fällt nicht auf, er stellt den Normality-Typus von Mensch dar, an dem man nichts aussetzen kann, und den man nicht unterstützen und ermutigen muss, weil er keine Probleme bereitet, und weil er sich in den Gesamtbetrieb integriert.

Da muss sich jeder anpassen. Dabei hat der schwermütige Mensch, der nicht so schnell in Gang kommt, rätselhaft erscheint, ein bisschen unharmonisch und schwerfällig ist, vielleicht grübelnd, durchaus Nachteile zu befürchten, denn er ist nicht gefragt. Kein Standardtypus, nicht kontaktfreudig und aufgeschlossen, sondern eher widerspenstig – stört er in unserer Gesellschaft. Ich muss sagen, unter diesen verschlossenen Menschen, die sich abkapseln, gibt es sehr Gutmütige, Aufgeschlossene, die liebenswürdig und einnehmend sind, die man nicht einfach abschreiben sollte.
Unsere Gesellschaft ist eine Maschine, die seelenlos und herzlos nur auf das Funktionieren schaut, nicht auf das Wertvolle und Tragfähige, das diese Menschen oft auszeichnet, die zunehmend unter Beobachtung und Kontrolle geraten.
Denn man braucht auch das Tiefgründige, Substantielle – sonst bricht alles auseinander, es explodiert, wenn man nicht endlich zur Besinnung kommt und diesen Wahnsinn beseitigt, von dem nicht nur Glück und Zufriedenheit ausgeht, sondern auch unendliches Leid und eine Perspektiv- und Ziellosigkeit sondergleichen, die uns in den Untergang treiben kann.

Das wollte ich einmal sagen, und ich warne davor, dass der Volltrottel, den nichts aus der Bahn wirft, zur bestimmenden Figur wird. Diese Maschine, dieser Apparat, ist zynisch, und er wird nichts zur Lösung unserer Probleme beitragen.
Das Bild des Menschen ist immer komplex, umfassend und nicht ohne Ecken und Kanten – und keinesweg einseitig, konstruiert und imaginär.

Dankesbrief an A. Kurella

Den folgenden Brief und noch viele dieser Art bekam ich von einer Patientin, die ich zwei Mal begleiten durfte aus den Tiefen der Erkrankung bis hin zur Stabilität.
Wenn der Vorname weggelassen wird, erlaubt sie, den Brief zu veröffentlichen.
Sie ist eine herzensgute Frau und hatte bzw. hat ein schweres Leid zu tragen.
Jetzt kann sie wieder mit ihrer Katze Coco in ihrer Wohnung leben.
Sie hat meinen guten Rat angenommen und lässt sich jetzt häuslich betreuen.
Erst hatte sie diese Betreuung total abgelehnt.
Aber ich habe ihr immer wieder gesagt, dass sie durch diese Betreuung einen erneuten Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik verhindern kann. Sie hat mir vertraut, und ist mir unendlich dankbar.
Ich bin sehr stolz auf sie und wir bleiben in Verbindung.
A. Kurella

Liebe Angelika!

Erst mal liebe Grüße! Ich zähle schon die Tage, wann Du kommst, denn da geht die Sonne für mich auf. Es ist sehr schön einen Menschen zu haben, der mitfühlt, denn Du hast es ja selbst auch schon erlebt.

Die Tage hier sind sehr lang, doch die Zeit – wenn Du mich besuchst – vergeht im Flug. Vergelts Gott für alles.

Hoffe, Dir geht es gut, und Du hast nicht so viel Aufregungen wegen Deiner Tochter. Das sind schon große Sorgen, und sie hört leider auf niemand.

Nun grüße ich Dich und Deine Familie und besonders den goldigen Gugulu,

Deine …..

Abends wenn ich schlafen geh,
vierzehn Englein bei mir stehn.
Zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner Linken,
Zwei zu meinem Haupte, zwei zu meinen Füßen,
Zwei, die mich decken zwei, die mich wecken,
zwei, die mich weisen ins himmlische Paradies. 
                                *                            
Schlägt Dir die Hoffnung fehl, nie fehle Dir das Hoffen,
ein Tor ist zugetan, doch tausend stehn noch offen,
                                *
Geduld ist ein Pflaster für alle Wunden.

“Wissen Sie, dass der Patient verwirrt ist?” von A. Kurella

Ich darf jetzt auch auf der geschlossenen Station Patienten besuchen.
Heute war ich dort zu Besuch bei einem jungen Mann, der aber spazieren war mit seiner Schwester. So setzte ich mich ins Raucherzimmer. Der Pfleger, der mir vor längerer Zeit mit einem Stationsverbot entgegen kam, ging auf mich zu mit den Worten: “Frau Kurella, wen besuchen Sie?“ Ich lächelte und nannte ihm den Namen. Seine Antwort „Alles klar“.
Ich mache nicht den Fehler, unfreundlich zu sein, aber – „meine Gedanken sind frei.“

Als ich nahe beim Stationszimmer stand, kam ein Patient , der zu einer Krankenschwester sagte, dass er gerne ein Bad nehmen würde, und diese sagte, sie würde ihm das Badezimmer aufsperren. Wunderbar!

Der Patient, den ich hier besuche, ist um die dreißig Jahre alt, und mit seiner Erlaubnis kann ich ganz aktuell über die Behandlung berichten. Ich nenne ihn Herrn X.
Herr X wurde vor einigen Wochen auf die geschlossene Station aufgenommen und, weil er mit der Behandlung nicht einverstanden war, wurde ein Richter vom Amtsgericht bestellt, Herr X bekam einen Betreuer und wurde mit Gerichtsbeschluss auf genannter Station festgesetzt.

Das ist so üblich, und dagegen kann man nichts sagen, denn das ärztliche Gutachten zeigt wohl, dass eine Behandlung notwendig ist, und der Patient keine Krankheitseinsicht hat.

Gestern habe ich Herrn X auf  dem Patiententelefon angerufen, und er sagte mir, dass ein Richter ihn am 19.3.2013 besuchte, und dass er nochmals per Gerichtsbeschluss auf der Geschlossenen verwahrt wird. Sein behandelnder Arzt findet, dass es notwendig sei.
Herr X gibt zu, dass er bei der Einweisung verwirrt bzw. krank war, aber sein Zustand hat sich gebessert, und er nimmt auch seine Medikamente ein.
Wenn ich mit ihm spreche, fällt mir nicht auf, dass er krank ist, aber sicher wurde er nicht als Gesunder aufgenommen.

Wenn ich Herrn X in der kommenden Woche besuche, will ich ihn  fragen, ob er einverstanden wäre, sich auf einer offenen Station behandeln zu lassen. Da kann man es besser aushalten, und man kann auch spazieren gehen, außerdem wird die Behandlung durch verschiedene Therapien begleitet – wie Beschäftigungstherapie, Sport und Gesprächstherapien.
Ich muss sehr vorsichtig sein mit meinen Ratschlägen, denn ich hatte ja schon mal Stationsverbot von dem behandelnden Arzt des Herrn X, Herrn Dr. Y., den ich allerdings persönlich nicht kenne.

Das Pflegepersonal der Station hatte mir früher manchmal gesagt: “Frau Kurella, Sie wissen schon, dass der Patient verwirrt ist?” Natürlich weiß ich das, aber von der besonders schlechten Behandlung, vor allem in der Fixierung, weiß ich auch, und durfte auch schon zusehen, und ich bin nicht verwirrt.
Die Patienten sind verwirrte, kranke MENSCHEN, das sollte man nie vergessen. Sie brauchen Hilfe, Zuwendung und Pflege. Medikamente sind nötig, aber das allein reicht nicht.
Auch Herr X wurde vom Pflegepersonal sehr schlecht behandelt, und er sagte:“ Mir wurde beim Fixieren sehr weh getan.“

Also geht alles weiter, obwohl ich den Chefarzt, den Herrn Professor, den Oberarzt dieser Station und die Pflegedienstleitung durch meine Briefe über die menschenunwürdige Behandlung informiert habe.
Aber ich gebe nicht auf, und ich schreibe nach meinen Besuchen das auf, was mir die Patienten berichten.
Von Vorteil ist, dass auch Herr Günther Brand von der Selbsthilfegruppe SAP als Besucher in die Klinik kommt  und auch eine Frau R.B.. Frau B. war für kurze Zeit mit mir Besucherin der geschlossenen Station. Seit ich von der SAP “gekündigt” wurde, habe ich telefonischen Kontakt mit ihr.
Sie erzählte mir vor kurzem, wie unfreundlich das Personal mit ihr ist. Frau B. ist Besucherin aus christlicher Nächstenliebe, sie war selbst nie psychisch krank. Von Patienten habe ich erfahren, dass Frau B. mit selbst gebackenem Kuchen und kleinen Geschenkenzu Besuch kommt, und dass sie eine herzensgute Frau ist. Das stimmt.

Auf der offenen Station und auf der Geschlossenen bin ich zur Zeit treue Besucherin. Die Patienten auf der zweiten geschlossenen Station besuche ich eher selten, obwohl ein Patient zu besuchen wäre. Ich warte aber erst mal ab, bis ich sicher sein kann, dass er mir meinen Besuch erlaubt.

Die Pfleger und Krankenschwestern lehnen uns Besucher meist ab, das stört mich zwar auch, aber ich besuche ja die Patienten und nicht das Pflegepersonal.

In Deutschland werden kranke, hilflose Menschen gequält. Würde man das im Fernsehen zeigen?

Vor Kurzem habe ich im Fernsehen einen Bericht gesehen, wie psychisch kranke Menschen aus einem Dorf verbannt werden, sie sind angekettet in einem Bretterverschlag untergebracht. Allein gelassen. Das passierte auf den Philipinen, die Dorfbewohner haben Angst vor dem Kranken, manche verbinden die psychische Erkrankung mit einem bösen Geist, der den Menschen im Griff hat. Sie schützen sich, indem sie den Kranken weit ab vom Dorf einsperren. Eine Frau hat sich um zwei dieser Gequälten bemüht, und sie mit Einverständnis der Angehörigen in einer Klinik untergebracht, wo sie der Menschenwürde entsprechend behandelt werden. Nun könnte man annehmen, so wie zuerst beschrieben, werden psychisch Kranke behandelt, deren Krankheit nicht richtig erkannt wird.

Leider ist die Behandlung der Patienten auf zwei geschlossenen Stationen einer Nervenklinik hier in Deutschland ähnlich unbarmherzig, und dass die Menschen schwer erkrankt sind, ist bei uns bekannt.

Gefesselt und oft den ganzen Tag alleine gelassen in einem Krankenzimmer – nicht weit weg, sondern hier bei uns in Deutschland. Würde man das im Fernsehen zeigen? Leider eher nicht.

Da werden kranke Menschen gequält.

Das wissen aber nur die selbst Betroffenen oder manchmal deren Angehörige. Viele schweigen aus Scham, und oft werden Beschwerden abgewiesen mit dem Hinweis, dass es sich um verwirrte Menschen handelt.

Dass es in der heutigen „modernen Psychiatrie“ so eine Behandlung gibt, ist unglaublich, aber wahr. ES FEHLT AN MENSCHLICHKEIT:

Selbst wenn diese Zustände nur in dieser einen Klinik herrschen, ist es ein Skandal – eine Schande, und ich versuche mit meinen Berichten alle darauf hinzuweisen, dass hilflose Menschen gequält werden, und ich bitte um Mitgefühl, denn diese Behandlung ist ein Verstoß gegen die Würde des Menschen.

Wenn Sie einen Angehörigen oder Freund auf dieser geschlossenen Station besuchen, und er ihnen über seine qualvolle Behandlung erzählt, glauben Sie ihm, auch wenn Sie denken, der Arme ist verwirrt.

Die Menschen sind krank, man müsste vorsichtiger mit ihnen umgehen. Nicht immer ist eine Fixierung notwendig, aber manchmal genügt es, wenn der Patient laut schreit.

Bei einem meiner Besuche in der Klinik hat eine junge Frau ganz laut geschrien, die Pfleger waren schon in Alarmbereitschaft, ich kannte die Patientin, und sagte ihr leise ins Ohr: „Sei bitte still, du erschreckst ja alle.“ Ich ging mit ihr in den Speiseraum, und sie erzählte mir von ihren Sorgen. Ich beruhigte sie, auch sie würde wieder gesund werden und könne so frei leben wie ich. Ich durfte sie besuchen, und es dauerte nicht allzu lang, bis sie entlassen wurde.

Bei einem Gespräch mit einem Oberarzt einer geschlossenen Station einer Nervenklinik fragte ich, weshalb der Patient, der fixiert wird, keine Beruhigungsspritze bekommt. Der Oberarzt antwortete, darauf verzichte man in der „modernen Psychiatrie“ zur „Schonung des Patienten“. Also wurde ich vor 40 Jahren nicht geschont, aber diese eine Spritze hat mich beruhigt, und ich musste nicht lange in der Fixierung bleiben.

Heute bleiben die Patienten oft sehr lange ans Bett gefesselt und nicht selten hört man ihre Schreie aus den Krankenzimmern.

Eine Patientin beschreibt eine ihrer Fixierungen so: „Ich hatte furchtbare Angst und dachte, ich muss sterben.“  „Kein Mensch kam an mein Bett, als ich rief, dass ich zur Toilette muss, und irgendwann habe ich ins Bett „gemacht“.”

Wenn das also als moderne Psychiatrie bezeichnet wird, wäre mir die „altmodische“ Behandlung lieber.

Man muss auch bedenken, dass mit der Medikamentengabe nicht gespart wird, und manche Patienten Medikamente in hoher Dosis einnehmen müssen. Und eine einzige Spritze zur Beruhigung ist zu viel?

Im Vergleich zu früher wird sehr oft fixiert, wo man es nicht unbedingt machen müsste, aber der Versuch, den Patienten anders zu beruhigen, fällt weg. Nur ein lauter Schrei kann zur Fixierung führen.

Ich weiß, dass es in einigen Situationen einfach nicht anders möglich ist den Patienten ruhig zu stellen, und dann muss es eben sein, dass er ans Bett gefesselt wird.

Aber von einer Schonung des Patienten kann man wirklich nicht reden. Eher von brutaler Gewalt und der Patient wehrt sich natürlich.

Doch am Ende liegt er gefesselt im Krankenbett, das in der Mitte eines Zimmers steht, und er kann nur schreien, wenn er was will oder zur Toilette muss, und das wird allzu oft vom Pflegepersonal überhört.

Es ist eine unmenschliche Art der „Pflege“, über die mir viele Patienten im Vertrauen berichten.

Manche Patienten schämen sich so sehr, dass sie ihren Angehörigen alles verschweigen. Wenn sie den Mut hätten, darüber zu sprechen, würden sich sicher mehrere Leute über diese qualvolle Behandlung beschweren.

Ich habe mich schon mehrmals schriftlich  beschwert – auch mündlich bei Gesprächen mit Oberarzt und stellvertretender Pflegedienstleitung. Ich wurde um Verständnis gebeten.

Verständnis dafür, dass eben auf einer geschlossenen Station, besondere Umstände herrschen, schwierige Situationen, bei denen das Personal sehr unter Druck steht.

Aber Verständnis habe ich für die Patienten, die krank sind, und diese Behandlung ist menschenunwürdig!

Die Kranken sind hilflos, und nicht selten verweigern sie das Gespräch mit den Ärzten, denn sie haben das Vertrauen verloren, und das ist ganz normal.

Bevor meine Tochter dort in stationärer Behandlung war, hatte ich Respekt vor dem Pflegepersonal. Das hat sich geändert – nur wenige Krankenschwestern und Krankenpfleger machen ihre Arbeit so, dass man das eine menschenwürdige Pflege nennen kann.

Dass auf den Stationen so wenige Besucher kommen, hängt damit zusammen, dass viele Menschen Angst haben, es könnte etwas Unmögliches passieren, aber das ist eher selten.

Angst habe ich keine. Wenn mir auffällt, dass ein Patient gewalttätig werden könnte, verzichte ich erst mal auf ein Gespräch. Aber, wenn es ihm besser geht, bin ich gerne bereit, mich mit ihm zu unterhalten. Ich habe Respekt vor diesen kranken Menschen, und das zeige ich auch.

Beleidigt wurde ich auch, aber das verzeihe ich sofort, denn da spricht ein kranker, hilfloser Mensch, der später nicht mehr weiß, was er gesagt hat.

Das Pflegepersonal und die Ärzte und Doktoren können mich zwar “dumm” anreden, aber oft schon habe ich eine Antwort gegeben die “gesessen” hat. Man kann auch ganz anständig etwas sagen, was eigentlich schon ein wenig frech ist, aber ich rede leise, und lasse mich nicht einschüchtern.

Jetzt hat auch das Pflegepersonal erkannt, dass meine Besuche hilfreich sind. Ich bin eine Art „Sorgenmutter“ und bringe kleine Geschenke mit. Es gibt Patienten, die meine Gutmütigkeit ausnutzen möchten, wie vor kurzem eine Patientin, die sagte, sie hätte „Berge von Schmutzwäsche“, die ich für sie waschen könnte. Sie würde es auch bezahlen. Meine Antwort war kurz und bündig: „Nein“.
Diese Patientin ist seit Wochen ohne Geld und bestiehlt andere und findet, das sei nicht so schlimm. Da bin ich ganz anderer Meinung. Mit dieser Frau unterhalte ich mich meist nur ganz kurz.

Ich gehe weiterhin auf die beiden geschlossenen Stationen, um meine Hilfe anzubieten.

Medikamentöse Fehlbehandlung

Folgendes hat uns ein Leser mitgeteilt:
 
Zurzeit läuft bei der Gutachterstelle der bayerischen Landesärztekammer München ein Gutachten wegen medikamentöser Fehlbehandlung (bei mir) in den Jahren 1998 bis 2009 in einer Nervenklinik.
Ein gewisser Rechtsanwalt Seitz aus München hat bei mir über dem Bundesverband deutscher Psychiatrieerfahrene bisher Rechtsbeistand geleistet. Grundlage für eine gerichtliche Klage gegen das Bezirkskrankenhaus (Psychiatrische Klinik, EREPRO), ist ein Gutachten vor Gericht.
Der Oberarzt Dr. X berichtete mir im Bezirkskrankenhaus im Jahre 2008, dass ich zehn Jahre lang falsch behandelt worden bin.
An meiner Diagnose der Schizophrenie ändert sich nichts, aber ich wurde im Bezirkskrankenhaus mit 80 verschiedenen Psychopharmaka behandelt.
 
Es ist ein Verbrechen ohne Ende, und ich kam mir vor wie ein Versuchskaninchen. Auch das hat für das Bezirkskrankenhaus seine Konsequenz.
Ich möchte eine finanzielle Entschädigung und bin bereit dafür zu kämpfen. Aufgrund meiner finanziellen Lage bekäme ich beim Prozess gegen das Bezirkskrankenhaus Prozesskostenbeihilfe.

Kritische Diskussion mit Weiterbildungsteilnehmern psychiatrischer Fachpflege

Ich bin über die BZgA (=Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) auf Sie aufmerksam geworden und positiv überrascht über die Möglichkeit in Ihrem Blog und Forum sich kritisch mit der Psychiatrie auseinanderzusetzen.  Mit den Inhalten und Kritiken kann ich in die Auseinandersetzung und in die kritische Diskussion mit den Weiterbildungsteilnehmern der psychiatrischen Fachpflege gehen, und ich werde EREPRO weiter empfehlen. Vielen Dank für Ihre Arbeit!

Dagmar Weiße
Leiterin Weiterbildung psychiatrische Pflege
Diplom-Pflegepädagogin (FH)
Lehrerin für Pflegeberuf
Fachkrankenschwester für psych. Pflege
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UNIVERSITÄTSMEDIZIN
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Weiterbildung in den Gesundheitsfachberufen
Fachbereich psychiatrische Pflege
Am Pulverturm 13, 55131 Mainz

dagmar.weisse@unimedizin-mainz.de

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