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Fast jeder Fünfte von Armut betroffen

das teilte die TAZ am 18.12.2013 mit:
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2013/12/18/a0057

WIESBADEN | Fast jeder Fünfte in Deutschland ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Im Jahr 2012 lag der Anteil bei 19,6 Prozent und damit leicht unter dem Vorjahresniveau, wie das Statistische Bundesamt gestern in Wiesbaden mitteilte. Im Jahr 2011 betrug der Anteil armer oder sozial ausgegrenzter Menschen 19,9 Prozent. Damit lag Deutschland nach wie vor unter dem EU-Durchschnitt. In der gesamten Europäischen Union galt 2012 fast ein Viertel (24,8 Prozent) der Menschen als arm oder sozial ausgegrenzt. (afp)

In unserem Essay (hilfe-Blätter 15) mit dem ironischen Titel
Krankheitseinsicht als höchste Form der Selbstbestimmung
heißt es S. 33, 34:
Aus der „Aufstiegsgesellschaft der alten Bundesrepublik ist
eine Abstiegsgesellschaft geworden.“ „Die Treppe
des Abstiegs ist jetzt steiler und kürzer.“
Heinz Bude stellt fest, dass heute nicht mehr nur
die klassischen Randgruppen gesellschaftlich ausgeschlossen
sind, sondern „Exklusion“ bedeute:
„ein rapider sozialer Wandel bringt eine Gruppe
von Überflüssigen hervor, die sich mehr oder minder
zufällig am falschen Ort befinden“.
Es handle sich um einen „Prozess, durch den bestimmte Personen an den Rand der Gesellschaft gedrängt oder durch ihre Armut bzw. wegen unzureichender
Grundfertigkeiten oder fehlender Angebote für lebenslanges Lernen, oder aber infolge
von Diskriminierung an der vollwertigen Teilhabe gehindert werden“ so zitiert er einen Bericht der
EU.

Tödliches Tabu

10 000 Menschen töten sich jedes Jahr in Deutschland, jeden Tag zwei Jugendliche. Das heißt etwa alle 53 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben, alle 5 Minuten – schätzen Fachleute – versucht es jemand. Wir können es uns nicht leisten, diese schreckliche Bilanz zu ignorieren.
Die „Freunde fürs Leben e.V.“ aus Berlin arbeiten mit Aufklärungskampagnen über Depression und Suizid gegen dieses Tabu: seit 2001 als erste und einzige kontinuierliche Aufklärungskampagne über Selbstmord in Deutschland.
Wir stellen sie vor und zeigen wie sie arbeiten.

In erster Linie werden Jugendliche und junge Erwachsene angesprochen. Dafür besteht ein Riesenbedarf. Denn der Suizid, insbesondere der von Jugendlichen, ist eine sträflich vernachlässigte, tabuisierte Tatsache, vor der man sich gerne drückt.

Aktivitäten der „Freunde fürs Leben
Zentrale Medien des gemeinnützigen Vereins sind
1. ein Info-Portal mit vielen Hinweisen (u.a. einer langen Literaturliste) und
2. ein WebTV-Kanal, der in erster Linie junge Menschen anspricht.

Außerdem erarbeitet die Gruppe Info-Material

– eine DVD
“Um Lehrern, Erziehern und anderen Bildungsarbeitern den Einstieg in das Thema psychische Gesundheit zu erleichtern, gibt es die DVD ‘Und Du so?’. In kurzen Filmbeiträgen und Interviews kommen junge Menschen, Experten, Musiker, Schauspieler, TV-Moderatoren und Politiker zu Wort. Sie sprechen über Gefühle, Glück und Krisen. Ebenso werden Beratungseinrichtungen vorgestellt und Profis erklären Fachbegriffe. Die DVD wurde im Auftrag des Dachverbandes Gemeindepsychiatrie und der BARMER GEK produziert. Die Beiträge stammen von den Vereinen Freunde fürs Leben e.V. und ‘Irrsinnig Menschlich e.V..’.”

– der Pocket Guide “lebensmüde”
“Der Pocket Guide von Freunde fürs Leben e.V. liegt seit Mai 2005 an Schulen, Beratungsstellen und Einrichtungen aus, bei denen Jugendliche mit Suizidgedanken Hilfe holen können. Entwickelt wurde der Pocket Guide in Zusammenarbeit mit Dr. Gert H. Döring (DGS) und Michael Witte (Neuhland/DGS).” Diese Booklets sind sehr gefragt und werden von vielen Einrichtungen (Soz.-psychiatrischen Beratungsstellen, Kliniken, Psychiatern, Krisendiensten) in großer Zahl bestellt und verteilt. Alle diese Stellen suchen dringend Material zum Thema Depression und Suizid. Die Info-Broschüre kann unter pocketguide@frnd.de bestellt werden.

 – Info-Spots
„Sven Haeusler von Svenson Suite hat den ersten ‘Freunde fürs Leben’-Info-Spot produziert. Dieser wurde von MTV ab Oktober 2004 kostenlos geschaltet.
Unser Partner Floor 5 entwickelte einen Spot für die Berliner Einrichtung ‘Neuhland’, täglich zu sehen auf den Info-Screens in der Berliner U-Bahn.“

– Kampagne WSPD 2010
Manuela Gläser stellte Motive für eine Postkartenkampagne zur Verfügung anlässlich des Weltsuizidpräventionstags. Sie entwickelte die Motive für ihre Abschlussarbeit.

– Kampagne “Echte Männer”
„Freunde fürs Leben haben mit ihren Partnern Werbemotive für die Berliner Einrichtung ‘Neuhland’ entwickelt.“

Shop
Hier kann man entsprechend gestaltete T-Shirts, Handy- und Padcover, Wasserflaschen und Turnbeutel erwerben.

Die Mitarbeiter von Freunde fürs Leben organisieren Events und Konzerte, gehen in Schulen und klären Schüler und Lehrer über Depression und Suizid auf.

Kurze Vorstellung der Akteure von  „Freunde fürs Leben e.V.“
Der Vorstand
:
1. Vorsitzende: Gerald Schömbs
Geschäftsführer einer Werbeagentur, lesen Sie über seine Motivation, diese Initiative zu gründen.

stellv. Vorsitzende: Diana Doko
Sie erklärt in einem Radiointerview ihr Engagement und ihre Betroffenheit durch den Suizid ihres Bruders.

Schriftführer des Vereins:
Dr. Philipp S. Holstein
Dieser Mediziner hat einen “Anti-Ratgeber” als Ratgeber verfasst und schaffte es damit bei Amazon auf 20(!) positive Kundenrezensionen. Zitat aus dem Ratgeber (S. 13):„Schon der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurelius (121 –180) wußte (und das gilt bis heute): ‚Es wäre dumm sich über die Welt zu ärgern. Sie kümmert sich nicht darum.’ Also müssen wir doch wieder bei uns selbst anfangen.”
Hier eine Kundenrezension: „Dieses Buch entwickelt eine Sogwirkung. Es gibt nämlich keine Antworten. Es leitet einen, Fragen zu stellen. Die Antworten werden sich finden – und sind teils sehr überraschend. Ohne Philipp S. Holsteins kluge und witzige, gleichzeitig aber auch sehr tiefgehende Fragen käme man oftmals nicht im geringsten auf die Gedanken, auf die man hier selbst kommt.” (K. C. Thomsen).

Einschätzung der Arbeit der Freunde fürs Leben
Ein bisschen davon findet sich auch bei den „Freunden fürs Leben“. Ein Stil, der lebendig und menschlich daher kommt, ohne die oft humorlos kritischen Belehrungen psychiatrischer Profis.
Dabei macht das Portal auf uns einen vertrauenswürdigen Eindruck. Es bietet Hinweise auf die Hilfsmöglichkeiten für depressive Menschen, die zwangsläufig allgemein gehalten sein müssen. Aus fachlicher Sicht haben wir keine Einwände gegen diese Aufklärungskampagne.
Im Gegenteil – die „Freunde fürs Leben“ sprechen Betroffene einfühlsam und liebevoll an, machen ihnen Mut mit jemandem zu sprechen, sich Hilfe zu holen. Man spürt, wie wichtig den Mitarbeitern ihr Vorhaben ist.
Nur eine kleine Ergänzung: das Hilfsangebot von Selbsthilfegruppen für Depression könnte u.E. die Palette der Angebote bereichern. Wir haben durchweg gute Erfahrungen mit solchen Gruppen und berichten darüber in den hilfe Blättern von EREPRO Nr. 12 und anderen Ausgaben.

Die Freunde fürs Leben besuchen auch Tagungen und Kongresse. Bei dem großen Kongress der DGPPN 2013 stellten sie fest, dass auch dort die Suizidproblematik weitgehend tabuisiert wird. Dass die offzielle Psychiatrie sich schwer tut mit der Suizidverhütung, hängt u.E. nicht nur mit der hohen Zugangssschwelle und der schweren Erreichbarkeit suizidgefährdeter Menschen zusammen, sondern auch mit einer Tendenz zur Abwehr dieser Problematik. Das Thema Suizid führt in die Grenzbereiche und das Unergründliche der menschlichen Existenz. Das kann Mitarbeitern der immer wieder als „sachlich-objektiv und wissenschaftlich” vorgestellten Psychiatrie (wie natürlich sehr vielen anderen) Angst machen.
Dazu kommt, dass sich die Suizidproblematik nicht einfach medikamentös wegdrücken läßt. Im Gegenteil – durch Medikamentenbehandlung werden depressive Menschen nicht selten so weit wieder hergestellt, dass sie ausreichend Energie für die Durchführung eines Suizids aufbringen können.
Diese Menschen steckt man nicht so leicht in eine Diagnose-Schublade. Sie erweisen sich auch sonst weitgehend als „routine-resistent“, weil der Umgang mit ihnen jeweils volle Aufmerksamkeit und Zuwendung erfordert.
Und – sind sie überhaupt „psychisch krank“, mag sich mancher fragen und die Zuständigkeit der Psychiatrie bezweifeln.

Die „Freunde fürs Leben“ verweisen die depressiven, suizidgefährdeten Menschen und ihre Bezugspersonen an Fachkräfte in Ambulanzen und in psychiatrischen Kliniken. Auf ihrer Website stellen sie den Experten Thomas Giernalczyk von der Arche in München vor mit einem Vortrag über seine Arbeit in einer der wenigen spezialisierten Beratungsstellen für suizidgefährdete Menschen.
Diese Vermittlung durch die Freunde fürs Leben an kompetente Fachleute ist notwendig und richtig.
Wie es einem suizidgefährdeten Jugendlichen ergeht, der diese Anregung aufgreift und  nach der üblichen Odyssee bei der Hilfesuche eine offizielle Einrichtung oder einen niedergelassenen Psychiater aufsucht, hängt (wie immer) sehr von dem jeweiligen Mitarbeiter ab, auf den er trifft.
Kritik an offiziellen Hilfsangeboten sind nicht das Thema der „Freunde fürs Leben“.
Sie sprechen die depressiven und suizidgefährdete Menschen, ihre Freunde und Bekannten direkt an. Das ist gut so. Sie machen Mut und informieren über Depression und Suizid, damit Jugendliche besser verstehen können, was mit ihnen los ist, wenn sie sich schlecht fühlen. Erst dann können sie gezielt nach Hilfsmöglichkeiten suchen – auch bei Freunden und Bekannten,das wird immer wieder betont.
Ein  sinnvolles und wichtiges (unbedingt förderungswürdiges)  Angebot – zum Weitersagen.

Finanzierung der Freunde fürs Leben
Seit über 10 Jahren arbeitet dieses Projekt in dem komplizierten Bereich der Suizidprävention und hat bisher immer nur (geringe) Spendengelder zur Verfügung gehabt. Man ist fast versucht zu sagen: die Tabuisierung dieses Themas geht tatsächlich so weit, dass man diesem Verein bisher jede öffentliche Finanzierung verweigert hat.
Zur Zeit kämpfen die Freunde fürs Leben für eine finanzielle Unterstützung mit einer Petition bei Change.org. Klicken Sie diesen Link an und unterschreiben Sie.
Diese Unterstützung ist dann ein winzig kleiner Beitrag gegen das tödliche Tabu Suizid.

Initiative aus Bayern für Reformschritte in der Psychiatrie

Der neue bayerische Justizminister Winfried Bausback plant eine Bundesratsinitiative, um das Unterbringungsrecht, das erlaubt Menschen gegen ihren Willen in psychiatrischen Kliniken zu behandeln, zu reformieren.

Das berichtet die Süddeutsche Zeitung am 27.1.2014

http://www.sueddeutsche.de/bayern/konsequenz-aus-fall-mollath-bayern-plant-initiative-zur-psychiatrie-reform-1.1873555

Das vollständige Interview mit Bayerns Justizminister Bausback lesen Sie in der Dienstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung und in der SZ-Digital-App auf iPhone, iPad, Android und Windows 8.

Wenn es gelingt die Begutachtung zukünftig sinnvoll und menschenwürdig zu regeln, hätte das Leiden von Gustav Mollath doch noch eine positive Folge für andere Patienten. Ein sehr schwieriges Vorhaben.
Wir werden diese Initiative beobachten, darüber berichten und uns an der Diskussion beteiligen.

Neuer Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer wird neuer Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Das berichtet das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel”. Er löst demnach den FDP-Politiker Markus Löning ab (dts Nachrichtenagentur).

EREPRO wünscht sich, dass dieser neue Menschenrechtsbeauftragte sich auch für die Menschenrechtsverletztungen im eigenen Land interessiert (auch wenn er Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes ist!).

Vorgänger Löning, der sich für das Versagen der Ermittlungsbehörden angesichts der NSU-Mordserie im UN-Menschenrechtsrat entschuldigte, lieferte sich dabei mit dem Moskauer Delgationsleiter Goltjaew einen Schlagabtausch, weil dieser Deutschland ein „hohes Maß an Rassismus“ sowie Machtmissbrauch durch die Polizei durch exzessive Gewaltanwendung vorwarf. Löning verwies auf die Möglichkeit von Klagen vor Gerichten in Deutschland – und meinte: „ An die Adresse Russlands möchte ich sagen, dass bei uns die Gerichte funktionieren und Gewalt durch die Polizei, falls sie denn vorkommt, bestraft wird. “
Deutsche Menschenrechtsaktivisten missbilligten die ironische Art, mit der versucht worden sei die Kritik Russlands „einfach vom Tisch zu wischen“ (dpa).
Das alles berichtete die Frankfurter Rundschau am 26.4.2013, S. 5 unter dem Titel“ Kritik an Deutschland wegen Rassismus. Regierung entschuldigt sich vor UN-Gremium wegen des Versagens bei NSU-Morden.“

EREPRO wünscht dem neuen Menschenrechtsbeauftragten Christoph Strässer mehr kritisches Bewußtsein für Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und mehr Respekt vor Kritik an Deutschlands Menschenrechtspaxis aus dem Ausland.

„Dämonen und Neuronen. Psychiatrie gestern – heute – morgen“

Mit dieser Wanderausstellung will das Land Sachsen Anhalt – eines der ärmsten Bundesländer –  die Psychiatrie aus ihrem Schattendasein holen. Ein aufwändiges, gleichzeitig etwas tollkühn anmutendes Unterfangen.

Seit 2011 bis heute tourt die Wanderausstellung durch die Lande, und wird in Kliniken, Volkshochschulen, Universitäten und Stiftungen gezeigt. Mit ganz hochgestecktem Anspruch: “Abbau von Berührungsängsten und Vorurteilen gegenüber der Psychiatrie und psychisch Kranken.”

„Die Ausstellung “Dämonen und Neuronen” lädt deshalb zu einer Reise ein. Einer Reise, die vom Verständnis und der Behandlung psychischer Erkrankungen in verschiedenen Epochen, Kulturen und Religionen erzählt. Die den langen Weg von der “Besessenheit” zum heutigen Verständnis psychischer Erkrankungen mit ihren Perspektiven aufzeigt. Die ausgewählte Symptome, Diagnosen und Therapien aus der Sicht von Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten vorstellt. Einer Reise, die an ihrem Ende hoffentlich ihr Ziel erreicht hat: Mehr Wissen, besseres Verständnis und höhere Akzeptanz für die Krankheiten des Kopfes.“ (Zitat aus dem Flyer der Ausstellung)

Wir haben die Ausstellung in der Humboldt Universität zu Berlin gesehen.
Sie stellt sich beeindruckend dar, modernste Ausstellungstechnik interaktiv mit Video, Audio und gut lesbaren Tafeln, abwechslungsreich arrangiert. Perfekt…
Einige wenige Leute liefen rum, mit Bleistift und Papier bewehrt, und schrieben sich was auf.

“Schade”, sagte eine Frau, “dass wir unser Verständnis von Psychiatrie nicht auch mal mit so professionellen Mitteln darstellen können, aber da ist garantiert zu teuer!” 
Diese Frau meinte eine Psychiatrie, die den Menschen und seine “Selbstbestimmung” in den Mittelpunkt stellt. Die andere, dominierende Richtung beschreibt Gunther Kruse in den “Sozialpsychiatrischen Informationen” 4/2013: „Wo alles so gut und wunderbar formiert, normiert, entmenscht daherkomt“ und „wie der Mensch gewissermaßen mechanistisch aus der Medizin entfernt wird“. Auch wenn es in der Praxis der Psychiatrie ganz danach aussieht, dass es diese beiden grundlegend unterschiedlichen Ausrichtungen gibt, diese Ausstellung läßt sich dem nicht ohne weiteres zuordnen.

Das Konzept der Ausstellung stammt von der Firma – id3.de, Gesellschaft für Themen-Gestaltung, die Psychiatrieausstellungen wie auch zum Beispiel Hubschrauber-Museen konzipiert.
Das erklärt vielleicht eine ungewohnte, schwer greifbare Distanziertheit – ohne spürbare persönliche Berührung, die über dem Ganzen liegt.
Mir kam es so vor, als ob eifrige Studenten wie für ein Referat jedes (im Internet) auffindbare Stichwort zur Psychiatrie aufgegriffen haben. Die Autoren firmieren unter “Peter Wellach”, einem der Firmengründer, der dem Deutschlandradio Kultur auch Rede und Antwort steht über die Ausstellung.
Der Besucher muss versuchen, sich anhand einer Menge interessanter einzelner optischer Anreize zu orientieren. Von den Anfängen der Psychiatrie: “chronologisch und kulturüber­greifend … aus gesellschaftlicher und histo­rischer Sicht” sieht man sich konfrontiert “mit der Fragestellung ‚Wie gingen die jeweiligen Gesell­schaften mit psychischen Auffälligkeiten um und wo wurden diese behandelt?` ‚Was ist eigentlich psychisch krank und was ist normal?’…”

Dann geht es um die Krankheitsbilder, Diagnosen und Therapien. Patienten erzählen, Prominente gestehen, dass sie auch schon mal…
Die “Diagnosen” der Psychiatrie werden wie klare wissenschaftliche Begriffe einfach affirmativ behandelt. Und wir denken an der Stelle unwillkürlich an die letzte Nummer der Sozialpsychiatrischen Informationen (4/2013), in der Prof. Gunther Kruse sarkastisch über Diagnosen eines einzigen Patienten schreibt: “nicht unüblich ist, heute Schizophrenie, morgen bipolar, übermorgen Persönlichkeitsstörung, es fehlt nur noch Borderline plus Sucht und zuletzt Doppel/Dreifachdiagnose.”

Sicher kann sich jede Therapie- und Wertausrichtung der Psychiatrie hier irgendwo in dem Sammelsurium der Ausstellung mit einigen Aussagen wieder finden – sogar das Sozialistische Patientenkollektiv (selbstverständlich ohne Hinweis auf die RAF und lebenslange Gefängnisstrafen der Mitglieder): ” ‘Im Sinne der Kranken kann es nur eine zweckmäßige bzw. kausale Bekämpfung ihrer Krankheit geben, nämlich die Abschaffung der krankmachenden privatwirtschaftlich-patriarchalischen Gesellschaft’. Sozialistisches Patientenkollektiv 1970″, so steht es auf einer knallroten runden Ausstellungstafel.

Man wird sich das Eine oder Andere herauspicken aus dem Potpouri. Irgendwie interessant ist es jedenfalls: Es wurden “modulare Themeninseln entwickelt. Jede Themeninsel wird durch eine Mittelpunktinszenierung bestimmt, welche die Geschichten um sich herum versammelt.”
Diese Fleißarbeit erarbeitet aber kaum Zusammenhänge, die Einsichten verschaffen könnten zum besseren Verständnis des Phänomens “Psychiatrie”, das sich hier in erschlagenden Vielfalt präsentiert.
Den schwarzen Peter hat somit der Betrachter. Es bleibt ihm überlassen, eine Schneise durch das Dickicht an Informationen, Zitaten, Stich- und Fachworten zu schlagen! Er soll nachdenken und diskutieren: “Die Besucher (sollen) sich über ihr Verständnis von psychischer Krankheit und über Heilmöglichkeiten austauschen, diese in die Ausstellung einschreiben und helfen, Zukunft zu entwerfen.”
Ja, was noch alles?

Reform der Psychiatrie? Einiges wird vorgegeben, das sich ändern muss (allerdings wenig Originelles): Gleichstellung von körperlichen und psychischen Krankheiten. Ein alter Hut seit der Enquete 1975, und es kommt einfach nicht so weit!
Wenn wir den Laien nur “fachlich informieren”, verschwinden die Vorurteile: ein weiterer Reformvorschlag.

“Psychische Störungen sind so alt wie die Menschheit – und ebenso alt sind die Vorurteile, Unwissenheit und Ängste, die trotz der enormen medizinischen Fortschritte noch immer in vielen Menschen verankert sind. Auch wenn wir heute wissen, dass Krankheiten der Seele weder eine Strafe der Götter noch der Fluch böser Geister sind, so treten wir Betroffenen nicht selten mit großen Vorbehalten gegenüber. Aber warum? Wieso begegnen wir Krankheiten des Geistes weitaus befangener als denen des Körpers?”
Die Antwort auf diese Frage bleibt aus.
Könnte es gelingen, Depressionen als “normale Krankheit wie Husten und Schnupfen” zu sehen?

Und die “enormen medizinischen Fortschritte” der Psychiatrie sind ein Phantom. Vor kurzem wurde in der erwähnten Zeitschrift „Sozialpsychiatrische Informationen“ 4/2013 die Wissenschaftlichkeit dieser Disziplin sehr in Frage gestellt: “Die Psychiatrie ist ein Fachgebiet, das stolz darauf zu sein scheint, absurderweise, sich der Medizin mit Erfolg angedient und eine Zugehörigkeit erzielt zu haben, ohne die mindesten Voraussetzungen dafür erfüllt zu haben.” (G.Kruse)
Die “moderne Psychiatrie“ mit ihrem Hype (s. hilfe Blätter von EREPRO Nr. 15, S. 79) bleibt in “Dämonen und Neuronen” also eher unangetastet.

Nun sind “Berührungsängste und Vorurteile” nicht die einzigen Probleme der Psychiatrie! Menschenrechtsverstöße, fundamentale gesellschaftliche Benachteiligung der Patienten, tödliche Dauermedikation, sind nur einige Aspekte des Skandals um den “psychiatrischen Menschen“, der auch heute noch auf  verlorenem Posten steht. Diese Skandale gehören scheints nicht in eine so schöne AUsstellung!

Das “Dämonische” wird in der Ausstellung zwar nicht vergessen, immerhin findet es sich schon im Titel, aber es wird weitgehend in die Geschichte der Psychiatrie abgeschoben.
Dabei sind die Akzeptanzprobleme der Psychiatrie sicher nicht unabhängig von der Angst der Menschen vor “Dämonen” und “Besessenheit” zu sehen, anders gesagt, Angst vor einem Gefühlschaos, das man nicht mehr unter Kontrolle hat, das mit den eigenen seelischen Verletzungen zusammenhängt. Und dass eine solche “psychische Krankheit jeden treffen kann” hört man ja immer wieder! Das verstärkt wohl eher das Vermeidungsverhalten der Menschen der Psychiatrie gegenüber – so lange es ihnen gut geht. Dieser Tatsache stellt sich die Ausstellung nicht.

Und die vielen ungelösten fachlichen Probleme der Psychiatrie einfach zu ignorieren, und dem “Laien” Psychiatrie als “medizinische” Disziplin mit wissenschaftlicher Eindeutigkeit ihrer Ergebnisse vorzustellen, ist nicht nur unangemessen, sondern eigentlich auch unredlich, weil es ein Vertrauen in die Psychiatrie weckt, das in sehr vielen Fällen nicht gerechtfertigt ist, und die Gefahr ignoriert, der sich derjenige aussetzt, der dort Hilfe sucht.

Anmerkungen
Die Ausstellung ist ausführlich im Internet vertreten.
Interessante Links:
Konzeption:
www.id3.de
http://www.beier-wellach.de/projekte/daemonen_und_neuronen

Grafik:
www.genausoundanders.com

Interviews mit Betroffenen für die Ausstellung:
http://www.salus-lsa.de/institut/wir_ber_uns/

Bilder aus der Ausstellung:
https://www.competitionline.com/de/projekte/49322
http://klinikum-saalekreis.de/aktuell/termine/ausstellungen/63-05-2012-daemonen- 

Berichterstattung über die Ausstellung:
Ärztezeitung
http://www.aerztezeitung.de/panorama/article/635387/daemonen-neuronen-landtag.html Deutschlandradio Kultur
http://www.deutschlandradiokultur.de/man-muss-ja-lernen-ueber-diese-krankheiten-zu-reden.954.de.html?dram:article_id=145873

Können Recht und Gesetz den Zwang in der Psychiatrie mildern?

Mit den folgenden Bemerkungen reagieren wir auf Diskussionen und Einwände von Lesern unseres Artikels: „Das Fehlen von Freiheit ist ein Schmerz, der auf Dauer verrückt macht“ vom 16.6.2013.
Wir danken allen Beteiligten für ihre Anregungen.
Die Aufzählung „erlaubter Zwangsmaßnahmen“ stand ursprünglich als Anmerkung in dem Artikel, verschwand aber durch ein technisches Versehen.
Wir geben hier die Gliederung vor für die Formen von Zwang, um die es jeweils geht. Beschreibungen der konkreten Ausgestaltung haben wir hinzugefügt.

 

Als „erlaubte“, legale Zwangsausübung gegenüber Psychiatriepatienten gelten heutzutage vier verschiedenen Situationen:
1. Zwangsausübung als Schutz für Menschen mit psychischen Problemen in Notfällen
2. Ordnungsrechtliche Zwangsausübung
3. Zwangssausübung im Rahmen des Betreuungsrechts
4. die strafrechtliche Regelung, Maßregelvollzug, als Sanktion für ungesetzliches Verhalten

1.      Zwangsausübung als Schutz in Notfällen.

Eine Leserin, die gerade den Artikel vom 16.6.2013 gelesen hatte, erzählte: “Eines Tages  saß meine Schwägerin, die schon mehrfach psychotisch gewesen war, mit ihrem kleinen Kind mitten auf einer verkehrsreichen Straße. Da kann man doch nicht die in dem Artikel vom 16.6.2013 als notwendig beschriebenen Kontroll-Maßnahmen durchführen, um sie aus der Gefahrensituation zu bringen, das ist ja viel zu umständlich und zeitraubend?!“
Stimmt.
Bei Zwangsausübung als Schutz in Notfällen, in der Regel durch die Polizei, kommen Gesetze wie das “Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes” (UZwG), Polizeiaufgabengesetze (PAG §§53f) der Länder etc. zur Anwendung.

Es geht um die Zwangsmaßnahmen Anhalten, das Festhalten, erkennungsdienstliche Maßnahmen, die In-Gewahrsam-Nahme, sowie die Durchsuchung und die Sicherstellung. http://www.juraindividuell.de/artikel/standardmassnahmen-zwang-im-polizeirecht-bayern/

Tatsächlich findet man auch hier Prinzipien wieder aus dem Artikel vom 16.6.2013:
– das Suchen nach milderen Mitteln vor der Zwangsanwendung,Ÿ
– das Bemühen um Freiwilligkeit,Ÿ
– die Ankündigung des Zwangs,
– die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen etc..

Auch die Unterbringungsgesetze oder PsychKGs der einzelnen Bundesländer legitimieren den Einsatz in Notfällen, wenn Menschen mit psychischen Problemen in Gefahr sind, und wenn bei der Hilfe Zwang angewendet werden muss (z.B. wenn die „öffentliche Ordnung“ gefährdet ist).

2.      Ordnungsrechtliche Zwangsausübung.

Diese Ländergesetze greifen in Situationen von „Selbst- und Fremdgefährdung“. Es geht bei dieser Zwangsausübung um Freiheitsentziehung durch Unterbringung eines Psychiatriepatienten in einer Klinik im akuten, eiligen Fall durch die Polizei, sonst durch Mitarbeiter des Kreisverwaltungsreferates oder des Ordnungsamtes. (s. hilfe Blätter von EREPRO Nr. 9 Krisenintervention – (wie) geht das?)

In dem Artikel vom 16.6.2013 wird darauf hingewiesen, dass nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) durch Deutschland diese Gesetze geändert werden müssen. Dabei geht es vor allem um den Gedanken der BRK, dass sich frei­heits­ent­zie­hen­de Maß­nah­men gegen Menschen mit psychischen Problemen auf „tat­säch­li­che und nach­weis­li­che Ver­hal­tens­wei­sen und die dar­aus re­sul­tie­ren­den Kon­se­quen­zen be­zie­hen müssen, und nicht mit Diagnosen oder sonstigen diskriminierenden Zuschreibungen begründet“ werden dürfen. s. Michael Wunder, Fürsorglicher Zwang – eine ethische Herausforderung in der psychiatrischen Praxis. Freiheitsentziehung und Zwangsbehandlung vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention. Soziale Psychiatrie Nr. 137 – Heft 3, Juli 2012 (http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/psychiat/mz6vo081.html) (18.09.2013).

Wir haben in dem Artikel vom 16.6.2013 kurz dargestellt, wie weit dieser Korrekturprozess in den einzelnen Bundesländern fortgeschritten ist, aber Bayern nicht erwähnt. Prompt wurde von Lesern nachgefragt!
Denn in Bayern ist eine Reform besonders wichtig, da „sich die Zahl der der Zwangsunterbringungen in den letzten 10 Jahren in Bayern verdoppelt hat. Im Jahr 2011 gab es dort allein 11.000 Zwangseinweisungen“. (Rosenow, Roland, Gleichheit und Zwang, Sozialrecht in Freiburg, Vortrag im Rahmen der Fachtagung DPWV/IMEW, Katholische Akademie Berlin, 26.06.2012, www.srif.de – 18.09.2013)
Hier wurde noch kein Landtagshearing wie in Baden-Würtemberg durchgeführt, aber immerhin ein sog. Landespsychiatrietag. Umfangreiche Information darüber bietet http://www.psychkhg-bayern.de/index.htm. (04.09.2013)
„Die Linke“ hat im  im Mittelfränkischen Bezirkstag einen Antrag zum PsychKHG eingebracht. Daraus ein Zitat:
„Im Vordergrund des bayerischen Unterbringungsgesetz stehen nicht die Würde der betroffenen Personen, das Recht auf Selbstbestimmung und ein gesetzlich gesicherter Anspruch auf die Versorgung mit angemessenen Hilfen, sondern einzig die ‘öffentliche Sicherheit und Ordnung’.
Dies entspricht weder der Psychiatrie-Enquete aus dem Jahre 1975, noch der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2009, geschweige denn den jüngsten Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes zum Thema Zwangsmaßnahmen.“

3.      Betreuungsrecht

Damit befaßt sich unser Artikel vom 16.6.2013 über die Novellierung des Betreuungsrechtes ausführlich. Es geht also um Bundesrecht.

Bei der betreuungsrechtlichen Regelung kann Zwang (fürsorglicher Zwang), der zum „Wohl“ eines Patienten, dem offiziell die Hilfe eines rechtlichen Betreuers in bestimmten Angelegenheiten zugeordnet wurde, folgendermaßen aussehen:Ÿ
– dass dem Hilfesuchenden auch unfreiwillig Rat und Unterstützung durch den rechtlichen Betreuer zukommt,Ÿ
– dass dieser für den unter Betreuung Stehenden verbindliche Willenserklärungen abgeben kann.
– dass er gegen den Willen des Betreuten in die Wohnung eindringt,
– dass dem Betreuten die Entscheidungsbefugnis für bestimmte Angelegenheiten ganz oder teilweise entzogen wird wie beispielsweise bei dem „Einwilligungsvorbehalt“.
– Zwang kann hier ebenfalls bedeuten freiheitsentziehende Maßnahmen durch Unterbringung eines Bürgers mit psychischen Problemen in einer Klinik durch den Betreuer, und
– Zwangsmedikation bei der Klinikbehandlung. Der Betreuer muss sich diese Zwangsmaßnahmen vom Betreuungsgericht genehmigen lassen. (s.u.)

4.      Maßregelvollzug als Sanktion für ungesetzliches Verhalten.    

Im Maßregelvollzug (auch „Forensik“) werden nach § 63 und § 64 des deutschen Strafgesetzbuches unter bestimmten Umständen psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter entsprechend den Maßregeln der Besserung und Sicherung untergebracht. (Wikipedia, 18.09.2013)

Hier liegt besonders viel im Argen, wie die Geschichte von G. Mollath zeigt. (s. Artikel von EREPRO “Abschaffung des Paragrafen 63 Strafgesetzbuch!” v. 27. September 2015 (http://www.erepro.de/?s=paragraf+63)
In Zeiten des Wahlkampfes fällt als skandalös auf, dass die Menschen nicht wählen dürfen, die solchen Zwangsmaßnahmen unterliegen.
EREPRO wird sich weiterhin mit den Fragen des Maßregelvollzugs beschäftigen.
Grundsätzlich kann man nur fordern, dass diese Form der Sanktion für Straftaten ganz abgeschafft wird, und jeder dem geltenden Strafrecht unterstellt wird, und entsprechend der Fähigkeiten des Täters geurteilt wird

Abschließend die Frage: können Recht und Gesetz den Zwang in der Psychiatrie mildern?
Ja, würden die meisten von uns aus vollster Überzeugung sagen, und darum setzen wir uns für „anständige“ gesetzliche Regelungen ein, und unterstützen beispielsweise die Forderung nach einem Bayerischen PsychKG. (Unterschreiben kann man auf http://www.psychkhg-bayern.de/index.htm: bisher leider nur 255 Unterstützer!). Auch die Anwendung des neuen Betreuungsrechtes muss kritisch verfolgt werden.

Einige Aussagen von R. Rosenow stimmen allerdings nachdenklich:
„Dieses … führt uns schlagend vor Augen, dass auch ein im Gesetz detailliert ausbuchstabiertes Verfahren nichts nützt, wenn die Verantwortlichen nicht von der Sinnhaftigkeit der verfahrensrechtlichen Vorgaben überzeugt sind und ihre Kreativität und ihr Engagement in den Dienst einer von Empathie getragenen Rechtsgüterabwägung stellen. Mit anderen Worten: Ohne eine adäquate Justizkultur kann die Abgrenzung von Fällen, in denen im Interesse des Betroffenen Zwang erforderlich sein mag, und solchen, in denen dies unstatthaft ist, kaum gelingen. Trotzdem sind wir auf das Rechtsystem angewiesen. Es gibt keine Alternative. Wir dürfen und müssen die Justiz in die Pflicht nehmen. Das umfasst die Erwartung, dass sie sich kritischen Fragen stellt, dass sie sich mit Menschen mit Behinderungen und mit ihren Fürsprechern auseinandersetzt, dass sie ihre eigene Praxis kritisch reflektiert und sich selbst engagiert, um ihre eigene Kultur da weiterzuentwickeln, wo es dessen bedarf.“ (Rosenow)

Auch hier gilt also: ohne eine humane Haltung der Menschen, die Zwang anwenden, wird sich die Situation der Menschen, die diesen „erlaubten“, oder rechtlich geregelten Zwangsmaßnahmen ausgeliefert sind, nicht verbessern. Recht hin oder her.
Ihre Würde, ihre persönliche, größtmögliche Freiheit ist nicht allein durch gesetzgeberische Regulierung zu garantieren.

Patrizia I

Manchmal frage ich mich, warum einige Menschen, die wirklich nichts (außer Gutes) getan haben, so sehr leiden müssen. Die Leiden meiner Freundin, mit ihrer Erlaubnis schreibe ich diesen Bericht, der der Wahrheit entspricht.

Nach einem Jahr voller Sorge um meine Tochter Ariane ist meine Freundin Patrizia auch Patientin einer „geschlossenen“ Station der Nervenklinik, in der Ariane behandelt wurde. Ariane ist entlassen, aber meine Sorge um sie wird wohl für mich ein lebenslanger Begleiter sein. Patrizias Schicksal berührt meine Seele. Die gute Patrizia kenne ich durch eine Gruppe, in der sich mit mir mehrere Frauen alle zwei Wochen treffen. Wir alle teilen ein Schicksal. Wir waren an einer Psychose erkrankt, sind aber „stabil“.
Patrizia ist genau wie wir alle um die 50 Jahre alt, sie hat ihren Sohn alleine groß gezogen, er ist etwas über dreißig. Patrizia war bis zu ihrer jetzigen Erkrankung berufstätig, und das trotz der Medikamente, die sie einnehmen musste, um „stabil“ zu bleiben. Medikamente nehmen wir alle ein. Ich bin stabil mit einer Mini-Dosis. 

Leider wurde Patrizia vor kurzer Zeit eine niederschmetternde Diagnose mitgeteilt: BRUSTKREBS. Eine OP – eine Brust wurde entfernt. CHEMOTHERAPIE und – erneut kam die Psychose.
So besuche ich Patrizia immer mittwochs in der Nervenklinik. Ein Jammer! Ihre wundervolle Haarpracht hat sie verloren. Sie ist blass und teils verwirrt, aber sie erkennt mich, und ich versuche ihr zuzureden. Wie sehr mich das Leiden von Patrizia berührt, kann ich schwer beschreiben.

Patrizia ist, als es ihr noch gut ging, fast jeden Tag in die Nervenklinik gefahren und hat Patienten besucht. Vor Jahren war sie auch bei Ariane und stets hatte sie ein kleines Geschenk für meine Tochter. Damals kannte ich Patrizia nur durch die Besuche bei Ariane.
Patrizia ist eine Seele von Mensch und jetzt wird sie gleich von zwei schweren Erkrankungen geplagt. Der KREBS und die Psychose, so muss sie zur Zeit zur Behandlung – Bestrahlung – in eine Klinik, danach gleich wieder zurück in die Nervenklinik.

Patrizia erzählt mir Dinge über die Behandlung dort, die ich normalerweise nicht glauben würde, aber ich weiß ganz genau, dass Patrizia die Wahrheit erzählt. Das ist die schrecklichste Art und Weise einer Behandlung, die eine Misshandlung ist. Darüber habe ich schon oft berichtet, und ich wäre der zufriedenste Mensch, wenn man sicher sein könnte, dass sich diese Missstände verändern würden – in eine ganz „normale“ Behandlung von psychisch Kranken in dieser Klinik. Aber das ist nicht leicht, denn es sind zu Wenige, die sich beklagen. Ich alleine kann nur schreiben, was da so vorfällt und Zeugen gäbe es unzählige, aber wer sagt das in der Öffentlichkeit? ICH!

Unglaublich, was da mit den Kranken gemacht wird. Da kann man doch nie gesund werden, das machte einen ja erst krank! Das Zusehen fällt mir unsagbar schwer. WER WILL HELFEN? WER KANN HELFEN?

Patrizia II

Wir wollen das Beste für Patrizia!
Als ich Patrizia das letzte Mal persönlich treffen konnte, war sie noch auf der offenen Station. Sie war ganz still, ihr Gesichtsausdruck war starr und sehr ernst. Sie war eher traurig und sie antwortete nur mit „ ja“ oder „nein“. Es ist ihr sichtlich schwer gefallen mir zuzuhören.
Sie ist abgelenkt!

Ich denke, Patrizia ist schwer beeinflusst von einer „inneren Stimme“. Diesen Zustand kenne ich aus eigener Erfahrung, Man hat Angst vor sich selbst. Man verfällt dem Trugbild seines Innersten und verliert das normale Denken. Der Wahn steht im Vordergrund.
Patrizia freut sich über Besuche und doch ist sie froh, wenn man wieder geht.
Sie sagt, ihr geht’s gut, und es geht ihr eher schlecht. Sie steht im Bann einer Stimme!

Patrizia ist – wenn sie stabil ist – ein eher ruhiger Mensch, freundlich, aber sie spricht nicht viel. Sie ist eine gute Zuhörerin, und sie zeigt ein Herz für Andere. Sie hat sich immer treu an den Besuchen von Patienten in der psychiatrischen Klinik beteiligt.

Jetzt hat Patrizia Krebs und ist psychisch krank. Sie ist schon viel zu lange in Behandlung und sie leidet darunter. Immer wieder wird sie verlegt und wechselt zwischen offener und geschlossener Station.
Patrizias Zustand ist zur Zeit schlimmer denn je. Sind’s die Medikamente? (Es wird vermutet, dass die Kombination der Chemotherapie und/oder der Narkosemittel mit den Psychopharmaka diese negativen Auswirkungen haben – EREPRO)
Wieder auf der Geschlossenen, zeigt sich die hebephrene Phase, in der sie auch wahnhaft ist. Jetzt denkt sie, alles sei überstanden, und sie komme bald zurück in ihre Wohnung. Ich lasse sie in dem Glauben, denn ich will sie nicht schädigen. Sie hat Pläne und ist sehr aktiv und doch schwer krank.
Ich denke, Patrizia hat Angst vor der Zukunft. Wie soll sie es schaffen alleine zu leben? Ihr Sohn ist aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und lebt bei seiner Freundin. Patrizia kann die Miete für ihre Wohnung nicht bezahlen. Diese soll bald gekündigt werden, und sie müßte dann umziehen. Alleine kann sie nicht leben, aber ein Heim wie Lauingen wäre nicht gut für Patrizia.

Sie braucht eine gute Pflege und eine Therapie, nur so kann man hoffen, dass Patrizia stabil wird. Ich würde es nicht wagen, Patrizia aus ihrer Traumwelt herauszuholen, aber es muss entschieden werden, wo sie untergebracht wird. Wir – ihre Freundinnen aus der Selbsthilfegruppe –  können Patrizia besuchen, aber die Zeit drängt, der Klinikaufenthalt wird bald nicht mehr durch die Krankenkasse finanziert.

Wohin soll Patrizia?
Bitte nicht einfach in ein Heim, in ein „Gefängnis für psychisch Kranke“ abschieben. Die Gruppe bangt um Patrizias Zukunft, und hofft, dass sie bald zurückkommt. Aber das wird wohl noch lange dauern. Patrizia ist hilflos und sie träumt von einem Leben in Freiheit. Ich hoffe, dass Patrizias rechtlicher Betreuer eine gute Entscheidung trifft; und auch ihr Sohn sollte mit entscheiden dürfen. Patrizia ist „nur“ Kassenpatient, aber für uns ein wertvoller Mensch, den man nicht einfach irgendwo „einpflanzt“, wo er nicht hingehört.

Eine OP steht ihr bevor. Die (entfernte) Brust soll wieder so hergestellt werden, dass Patrizia wieder als Frau zufrieden sein kann. Das bezahlt die Krankenkasse. Das wäre wunderbar, aber Patrizia ist einfach zu krank, und so ist diese OP zu belastend für die Psyche. Das müßten aber doch die Ärzte im BKH einräumen. Die OP sollte nicht das Wichtigste sein, sie müßte erst mal psychisch stabiler sein, und dann die OP angehen.

Jetzt kann Patrizia nicht entscheiden, was ihr wichtig ist. Sie ist sehr wankelhaft und – wie ich es einschätze – sehr wahnhaft, sehr leicht aus der Ruhe zu bringen,. Sie hat die Kontrolle über sich zeitweise verloren. Man sollte sie nicht zu sehr belasten, denn sie könnte aggressiv werden, und dann würde sie fixiert werden.
Ich bin kein Mediziner nur ein Mensch, der sieht, wie Patrizia leidet. Ich bin sehr traurig. Patrizia braucht Hilfe. Ihr Sohn möchte auch, dass seine gute Mama wieder stabil wird. Alle, die Patrizia kennen, haben diesen Wunsch.
Ich bin selbst stabil geworden, weil es Menschen gab , die mich nicht aufgegeben haben, und ststs an meiner Seite standen. Das verdient auch unsere gute Freundin Patrizia.

Akteneinsicht unabdingbar

Fast jeder hatte schon einmal den Wunsch die Akten einer ärztlichen Behandlung einzusehen. Meist läßt man schnell wieder davon ab, weil man ein sehr mühsames, ärgerliches Verfahren erwartet. Zu Recht!
In der Psychiatrie aber ist Akteneinsicht unabdingbar. Spätestens seitdem bekannt wurde, wie schlampig und unkorrekt die Gutachten über G. Mollath angefertigt wurden, sind viele alarmiert. Solche Beurteilungen, die aus Gefälligkeit angefertigt werden, kombiniert mit unzureichender Unabhängigkeit der Gerichte können gerade für Menschen mit psychischen Problemen katastrophale Auswirkungen haben – den Verlauf ihres Lebens weiteren Lebens bestimmen .

Psychiatrie-Insidern ist das natürlich lange bekannt, jetzt – im Licht der Öffentlichkeit – finden deren Warnungen hoffentlich etwas mehr Gehör! Sogar psychiatrische Gutachter warnen vor der Leichtfertigkeit der eigenen Zunft!
Die panische Reaktion auf die Kritik der Münchener Gutachterin Hanna Ziegert von Seiten des Gerichtes, für das sie arbeitet,  bestätigt praktisch, dass Misssstände bekannt sind und Angst vor Aufdeckung besteht. Dass die Psychiaterin die Sanktionen des Gerichtes mit Erfolg abwehren konnte, macht Mut. (http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/kontrovers/gutachten-unabhaengig-sachverstaendige-100.html)

Wir möchten Sie ermutigen, Einsicht in Ihre Psychiatrie-Akten zu nehmen. Es ist möglich, auch wenn man auf Widerstand stößt. Sie können in Beratungsstellen und Sozialpsychiatrischen Diensten Berater finden, die sie dabei “moralisch” unterstützen, damit Sie nicht im Verlauf des Verfahrens genervt aufgeben. Der folgende Link informiert darüber, wie man es macht, beschäftigt sich auch mit den Versuchen, Akteneinsicht zu verhindern.

Jeder hat das Recht auf Akteneinsicht und sollte es in der Psychiatrie nicht ungenutzt lassen. Schauen sich den folgenden Link an, und wenn Sie wollen, ergänzen Sie die sehr gründlichen und informativen Aussagen und schreiben uns Ihre Erfahrungen damit. Sie können anderen Leuten damit helfen.

http://www.patiententelefon.de/patientenschutz/patientenrecht-beratung/akteneinsicht (w.o.)

Eingeliefert heißt ausgeliefert!

Kein Einzelfall: Verwahrung psychisch Kranker!
Meiner Erfahrung nach werden psychische Kranke nicht selten behandelt wie Straftäter. Sie werden eingesperrt. Das nennt man “geschlossene Unterbringung” in einer Nervenklinik.
Wenn der Kranke eine Straftat begangen hat, wird er in einer Spezial-Klinik oder -Abteilung der Psychiatrie, der Forensik, untergebracht. Aber die Kranken, die “nur” psychisch erkrankt sind, werden auch eingesperrt, um sie vor sich selbst und die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen. Eingeliefert heißt ausgeliefert.

Ist psychisch krank zu sein denn ein Verbrechen? Psychisch Kranke in Verwahrung – haben sie das Recht auf menschenwürdige Behandlung irgendwie verspielt? Diese Frage würde ich gerne der Klinikleitung stellen!
Hinter diesen verschlossenen Türen werden Menschen untergebracht, die keine Straftat begangen haben, und diese Kranken werden von dem Pflegepersonal teils so schlecht behandelten, dass deren Verhalten eher einer Straftat gleichkommt. Ist es gesetzlich erlaubt Patienten zu misshandeln?
Das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung wird in ielen Fällen nicht geachtet. Davon werden die Patienten kränker als sie schon sind.

Schlimm ist auch, dass ihnen niemand glaubt. So können sie sich nicht wehren und nicht beschweren. Wenn sie es versuchen, riskieren sie an ihr Bett fixiert zu werden. In der fixierten Situation sieht die Misshandlung der Menschen so aus, dass sie ihre Notdurft ihäufig im Bett verrichten müssen, weil sich niemand um sie kümmert. Für die Patienten ist es die Hölle auf Erden.

Gewalt bei der Krankenpflege ist in einigen Kliniken an der Tagesordnung. Wer sich wehrt, wird fixiert, also im Bett entweder an Armen, und/oder Beinen und/oder Bauch festgebunden, und dann beginnt für den Patienten eine Qual, die ich als unzumutbar bezeichne.
GRAUENVOLL! Alle Patienten; die so „behandelt“ wurden, berichten von Todesangst. Ich selbst habe die Hilfeschreie aus den Zimmern gehört, in denen die Fixierten untergebracht waren.
Bei bei meinen Anrufen auf Station meldeten sich zwei Männer am Patiententelefon mit „KZ Augsburg“ oder „ Narrenhaus“!!!

Das sollten die Richter, die die Genehmigung zur Fixierung erteilen, auch erfahren. Aber den Kranken glaubt man nicht. Die wenigen Angehörigen, die als Besucher auf diese Stationen kommen, sehen zwar, dass die Behandlung mehr als schlecht ist, aber KEINER außer mir hatte bisher den Mut sich zu beschweren.
Für die verzweifelten Patienten gibt es in der Klinik einen Patienten-Fürsprecher, aber die meisten Kranken wissen es nicht. Sie sind hilflos ausgeliefert.

Als Psychiatrieerfahrene und als Angehörige einer psychisch Kranken bemühe ich mich um eine bessere Behandlung der Patienten in der Klinik – ohne Erfolg!
Ein Bericht in der Lokalzeitung über diese Klinik, in dem ich über die Pflegemissstände berichtete, hat zwar kurzfristig für Aufregung gesorgt, aber auf den geschlossenen Stationen hat sich nichts geändert. Unglaublich aber wahr!

Weil ich vor Jahren selbst erkrankt war, will man mich ruhig stellen, indem man mich als psychisch Kranke abstempelt. So greift man mich an, nur weil ich die Wahrheit an die Öffentlichkeit gebracht habe.
Allerdings greife ich nicht nur die Klinik an, sondern auch die Betreuungsstelle, die gesetzliche Betreuer einsetzt, welche kein Fachwissen aufweisen können.
Der Fall Gustl M. zeigt ganz klar, dass auch die Gerichte falsch entscheiden können.

Um den Patienten zu helfen, konnte ich für kurze Zeit mit einer Selbsthilfegruppe Psychiatrieerfahrener als Besucherin auf die Geschlossenen Stationen kommen.
Es gab Patienten, die meine Besuche als Stütze gerne annahmen, und ich bekomme immer noch Briefe von einer Patientin, die mich als ihre Lebensretterin bezeichnet. Sie war am Ende ihrer Kräfte und wollte nicht mehr leben. Mit viel Geduld und mit aller Vorsicht konnte ich sie davon überzeugen, dass jeder Mensch irgendwann einmal in seinem Leben an den Punkt kommt, wo er verzagt und verzweifelt ist. Und psychisch krank zu sein ist kein Verbrechen, aber sich selbst das Leben zu nehmen, ist nicht der richtige Ausweg. Weil diese Frau sehr gläubig ist, habe ich sie erinnert, dass ihr Leben Gottes Geschenk ist, und Selbstmord eine Sünde. Sie war schwer erkrankt, und doch hat sie mich verstanden, und wir sind gemeinsam den Weg gegangen, Schritt für Schritt. Man braucht kein Studium, man muss nur Mensch sein, mit Gefühl und mit Respekt vor dem Kranken.

Ich persönliche wurde ausgerechnet in dieser Klinik – in der Institutsambulanz – hervorragend behandelt. Stationär war ich aber “Gott sei Dank” dort nicht.
Es ist schon IRRE, wenn ich in der Klinik im ambulanten Bereich gut behandelt wurde, jetzt aber „gezwungen“ bin, diese Klinik anzugreifen.

Ich gebe nicht auf, denn ich kann nicht zusehen, wie man psychisch Kranke so abscheulich behandelt. Ich stehe auf ihrer Seite!