Schon wieder gibt es gesetzliche Vorhaben, die ein selbstbestimmtes Leben von Psychiatriepatienten sehr erschweren könnten. Es geht um die freie Wahl von Wohnort und Wohnform als elementares Menschenrecht. Dieses Recht wird ausgerechnet durch das neue Bundesteilhabegesetz infrage gestellt. (Der Bundestag hat schon in erster Lesung zugestimmt!)
Vor kurzem mussten wir berichten, dass die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung für Menschen mit psychischen Einschränkungen sogar vom Bundesverfassungsgericht beschnitten werden:
Verfassungsgericht fordert Gesetz für mehr Zwang gegenüber „psychisch Kranken, die eines freien Willens nicht mächtig“ sind. 2.10.2016
Das kann man kaum glauben, muss man aber schließlich doch, da die Ärzte Zeitung es am 25.8.2016 berichtet:“Hilflose und nicht einsichtsfähige Menschen können künftig einfacher einer medizinischen Zwangsbehandlung unterzogen werden. Wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied, kann dies auch abseits einer geschlossenen Unterbringung – etwa in regulären Kliniken oder Pflegeheimen – zulässig und angezeigt sein.” weiterlesen
Der Deutsche Behindertenrat schildert den neu geplanten Abbau von Selbstbestimmung folgendermaßen:
“Zentral ist für uns die freie Wahl von Wohnort und Wohnform als elementares Menschenrecht. Behinderte Menschen müssen selbst entscheiden können, wo und wie sie wohnen und leben wollen. Doch der Gesetzentwurf sieht vor, dass Unterstützungsleistungen gegen den Willen des Betroffenen gepoolt, d.h. gemeinschaftlich erbracht werden können. Dieses ‘Zwangspoolen’ höhlt den Kern elementarer Selbstbestimmungsrechte aus und setzt falsche Anreize: Menschen könnten in bestimmte Wohnformen gezwungen werden, ihren Alltag weniger selbstbestimmt gestalten oder Hochschulangebote nur eingeschränkt nutzen können. Deshalb darf es “gepoolte Unterstützungsleistungen” nur mit Zustimmung der Betroffenen geben.
Insbesondere für die Wohnsituation und die Freizeitaktivitäten ist daher in § 104 Abs. 2 SGB IX-E ein eindeutiger Zustimmungsvorbehalt festzuschreiben. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Ergänzungen des § 104 SGB IX-E enthalten einen solchen Zustimmungsvorbehalt nicht.
….
Zugleich ist das Heimatrecht für behinderte Menschen zu wahren: Wünschen sie sich ihr Zuhause in gemeinschaftlichen Wohnformen, dürfen sie nicht aus Kostengründen – z. B. weil die dortigen Unterkunftskosten aus den sozialhilferechtlich festgelegten Beträgen nicht gedeckt werden können – aus diesen Wohnformen herausgedrängt oder ihnen der Zugang dorthin verwehrt werden. Zusätzlich eingeschränkt wird das Recht auf freie Wahl der Wohnform durch das Pflegestärkungsgesetz III:
Darin wird für behinderte Menschen in bestimmten Formen des betreuten Wohnens der Anspruch auf Pflegeversicherungsleistungen erstmals gedeckelt.
Diese Verschlechterungen sind inakzeptabel und müssen drinngend behoben werden.” 18.10.2016 http://www.deutscher-behindertenrat.de/ID188913
Der Appell wird in einem “Aufruf des Verbändebündnisses zu den Gesetzentwürfen von Bundesteilhabegesetz und Pflegestärkungsgesetz III nach den Erstberatungen in Bundestag und Bundesrat” vom Deutschen Behindertenrat, Fach- und Wohlfahrtsverbänden sowie vom Deutschen Gewerkschaftsbund unterstützt.
Diese solidarische Haltung wichtiger gesellschaftlicher Gruppen läßt auf Verbesserungen hoffen, aber als Zivilgesellschaft dürfen wir uns nicht tatenlos darauf verlassen, sondern sollten das Gespräch mit unseren Abgeordneten suchen, ihnen Mails schreiben und Stellungnahmen von den Parteien fordern, damit das Thema im öffentlichen Bewußtsein bleibt und man darüber spricht.
Wir haben diesen einen Kritikpunkt zur Selbstbestimmung über die Wohnsituation heraus gegriffen, weil er gegenüber leistungsrechtlichen und anderen zu ändernden Punkten etwas unterzugehen droht. Er sollte keinesfalls übersehen werden.
Aber es gibt weitere schwerwiegende Einwände gegen die beiden Gesetzentwürfe.
Lesen Sie den ganzen Aufruf der Verbände “Nachbesserung jetzt erst recht!”, um sich darüber ein Bild zu machen: http://www.deutscher-behindertenrat.de/ID188913
Diesen Aufruf als PDF herunterladen: Aufruf “Nachbesserung jetzt erst recht!” (180,6 KB)