Seit einigen Jahren bekommt EREPRO regelmäßig Berichte über die Arbeit des VN (Vereinte Nationen)-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (englisch – CRPD-Ausschuss) von Frau Prof. Dr. Degener, die selbst – ohne Arme – behindert ist. Sie engagiert sich (als einzige Frau in dem Ausschuss) besonders für die Rechte behinderter Frauen. In dem neuesten “Bericht aus Genf 14/2017“ geht es um die sog. Staatenberichte zur UNBehindertenrechtskonvention der Länder Panama, Marokko, Montenegro, Lettland, Luxemburg und Großbritanien.
Diese UN Staatenberichte, angefertigt in einem langwierigen Verfahren mit vielen Beteiligten, rücken die Verhältnisse für behinderte Menschen in den jeweiligen Ländern oft erstmals ins Licht der Öffentlichkeit. Menschenrechtsverletzungen gegenüber Menschen mit Behinderungen werden benannt und beanstandet. Die Auseinandersetzung darüber vermittelt ihre Ansprüche auf menschenwürdige Behandlung, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht. Die Realisierung der Verbesserungsvorschläge wird später ebenfalls überprüft.
Der deutsche Staatenbericht wurde schon 2015 verfasst und mit 62 Empfehlungen ziemlich kritisch beurteilt. (s. http://www.erepro.de/2015/06/05/staatenberichtsprufung-deutschlands-zur-umsetzung-der-un-behindertenrechtskonvention-un-brk-durch-die-vereinten-nationen-abschliesende-bemerkungen/
s. zur Umsetzung in Deutschland http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuell/news/meldung/article/die-umsetzung-der-un-brk-ist-laengst-nicht-abgeschlossen/
Die Lektüre dieses Berichtes von Frau Degener führt uns die Rechte behinderter Menschen noch einmal vor Augen. Es gibt einen link für alle Dokumente aus den einzelnen Länder, die natürlich sehr unterschiedlich mit beeinträchtigten Menschen umgehen.
Wir bringen hier eine Zusammenstellung einzelner Punkte aus dem neuesten Bericht für Leser, die nicht die Zeit haben, den ganzen Bericht zu lesen.
Zunächst einige Bemerkungen aus der 35. Sitzung des UN Menschenrechtsrats. Dort erklärte der “Sonderberichterstatter für den Genuss des Rechts auf den höchstmöglichen Standard an physischer und psychischer Gesundheit”, Danius Puras, das reduktionistische biomedizinische Verständnis psychischer Beeinträchtigungen habe weltweit zu Exklusion und Menschenrechts-verletzungen bei Menschen mit Lernschwierigkeiten und psychosozialen Beeinträchtigungen geführt. Dank der UN BRK (Behindertenrechtskonvention, EREPRO) und der damit verbundenenen verstärkten Sammlung von Daten und dank einer engagierten Zivilgesellschaft sei es immerhin gelungen, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Puras forderte die Staaten auf sicherzustellen, dass Psychiatrienutzer* innen in Planung, Umsetzung und Evaluation von Diensten involviert werden, dass keine Ressourcen in stationäre Einrichtungen, sondern in gemeindenahe Dienste fließen, dass in psychosoziale Dienste so investiert wird, dass gemeindenahes und autonomes Leben möglich ist, sowie konkrete Maßnahmen zur Reduktion und Abschaffung von Zwangsbehandlungen zu ergreifen. Schließlich war es ein wichtiges Anliegen, die Staatenkonferenz darauf hinzuweisen, dass die Vereinten Nationen sich verstärkt für Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten und psychosozialen Beeinträchtigungen einsetzen müssen, indem sie entsprechende Standards entwickeln und umsetzen.
Mit großer Sorge beobachte der Ausschuss zudem den Entwurf für das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarats, das sogenannte Oviedo-Protokoll. “Mehrfach haben wir zwar darauf hingewiesen, dass der Entwurf den Allgemeinen Bemerkungen des Ausschusses zu Artikel 12 UN BRK widerspricht und auch den Richtlinien zur Umsetzung von Artikel 14 UN BRK”, so Theresia Degener. In diesen Dokumenten wie auch in der Rechtsprechung des Ausschusses wurden Standards gesetzt, die die Abschaffung des Systems der ersetzenden Entscheidungsfindung zugunsten der unterstützten Entscheidungsfindung fordern und Zwangsbehandlung und Zwangseinweisung in Widerspruch zur UN BRK sehen. Theresia Degener rief das OHCHR (Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte, EREPRO) und die Vereinten Nationen dazu auf, sich in diese Debatte einzumischen und zu engagieren.
Zum Staatenbericht Panama:
Im Dialog äußerte sich Theresia Degener besorgt, dass im Staatenbericht an vielen Stellen Prävention von Behinderung als Maßnahme zur Umsetzung der UN BRK genannt werde. Sie betonte, dass nicht Prävention, sondern die Rechte von Menschen mit Behinderungen Anliegen der Konvention seien (Art. 4 und 8 UNBRK). Sie wollte wissen, wie die Regierung diese stigmatisierende Politik erkläre und rechtfertige. Ähnlich besorgniserregend sei der Umstand, dass das medizinische Modell von Behinderung immer noch vorherrschend sei. So gebe es u.a. nach wie vor Spendenkampagnen, die auf Wohltätigkeit und Mitleid mit behinderten Menschen aufbauten. …
Im Zentrum stünden Barrierefreiheit und nichtdiskriminierende Sprache. Das Problem der Spendenkampagnen sei der Regierung wohl bewusst. Um es zu lösen, bat man den Ausschuss und die DPOs (Behindertenorganisationen, EREPRO) um technische Beratung. In ihren weiteren Fragen nahm Theresia Degener vor allem die Lage von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in den Blick. In Bezug auf Art. 13 UN BRK (Recht auf Zugang zur Justiz) erkundigte sie sich, ob und wie Richter im menschenrechtlichen Modell von Behinderung geschult und welche Maßnahmen ergriffen würden, um insbesondere den behinderten Frauen Zugang zur Justiz zu ermöglichen. Außerdem merkte sie an, dass der Bericht wohl das Verbot von Zwangsbehandlung, Zwangsabtreibungen, Zwangssterilisation etc. festhalte, aber keine Aussage über die Praxis, die tatsächliche Umsetzung des Verbots enthalte. Das Projekt Familia Impresa, so die Antwort der Delegation, führe ein breites Schulungsprogramm durch, das insbesondere Gewaltschutz von Frauen mit Behinderungen und die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Frauen und ihrer Kinder in den Blick nehme. … 4 Frauenhäuser seien eingerichtet und 17 Staatsanwälte für Gewalt gegen Frauen berufen worden.
Im Bericht aus Marokko … (wurde kritisiert, dass) im Rahmengesetz 97–13 aus 2016 die Rechte von Menschen mit Lernschwierigkeiten sowie von Frauen und Mädchen mit Behinderungen nicht berücksichtigt würden. Besorgniserregend sei in Bezug auf diese Personengruppe die mehrfache Diskriminierung und Gewalt, der sie ausgesetzt ist. Eine nationale Studie aus 2011 hatte gezeigt, dass mehr als 62 Prozent der behinderten Frauen in Marokko Opfer von Gewalt wurden. …
Dazu gehöre auch die Schließung von Heimen für behinderte Kinder. Theresia Degener wies darauf hin, dass im Bericht Fragen der Behinderung mit Fragen geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung vermischt würden, so würden lesbische, homosexuelle, bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Personen als geistig krank behandelt. Mit Blick auf Art. 12 UN BRK betonte sie, dass ein Familiengesetz, das Menschen mit Lernschwierigkeiten die rechtliche Handlungsfähigkeit abspricht und sie unter Betreuung stellt, im Widerspruch zur UN BRK stehe. Sie fragte, ob die Regierung Marokkos dies ändern und das System der unterstützten Entscheidungsfindung einführen wolle.
Montengro. Mit Blick auf das Gesetz zum Schutz der Rechte von Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen fragte sie (Degener, EREPRO), warum die Polizei in Montenegro Personen aufgrund eines Verdachts einer solchen Beeinträchtigung in Gewahrsam nehmen dürfe. …
Lage der Menschen mit Behinderungen in Lettland. … Erfolge der bewusstseinsbildenden Kampagne in 2011. Ein Viertel der Bevölkerung habe angegeben, infolge der Kampagne seine Meinung über Menschen mit Behinderungen geändert zu haben. Dennoch: Der “Löwenanteil” in der Umsetzung der Konvention bleibe Aufgabe für die Zukunft, … Mit DPOs sei an der Reform des bürgerlichen Rechts gearbeitet und die vollständige Einschränkung der rechtlichen Handlungsfähigkeit abgeschafft worden. Er empfahl der Regierung, einen Nationalen Aktionsplan und ein Rahmendokument für die Deinstitutionalisierung zu entwickeln. Weitere Herausforderungen seien das immer noch vorherrschende medizinische Verständnis von Behinderung und der damit verbundene defizitorientierte Blick auf Menschen mit Behinderungen. … Beunruhigend finde der Ausschuss auch die hohe Zahl an Todesfällen in Einrichtungen für Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen und Lernschwierigkeiten. Im Dialog stellte Theresia Degener fest, dass der Bericht nichts über Programme zur Förderung von Frauen mit Behinderungen sagt. … So gebe es noch 60 Sonderschulen in Lettland und der Bericht sage nichts über Pläne, diese zu schließen oder in inklusive Einrichtungen umzuwandeln. …
Der “Sonderbotschafter für Klimawandel und Menschenrechte des Außenministeriums”von Luxemburg, Marc Bichler, stellte den Bericht seines Landes vor. In den letzten 2 Jahren seien 5 Mio. Euro für selbstbestimmtes Leben und Inklusion investiert worden. Inklusion im Arbeitsmarkt habe dabei oberste Priorität. … Lobenswert hingegen fand Theresia Degener das erklärte Bestreben des Landes, bei der Reform des Betreuungsrechts die vollständige rechtliche Handlungsfähigkeit aller Menschen zu erhalten. Jedoch stehe die vorgeschlagene Reform nicht in Einklang mit der Konvention, die die Abschaffung der ersetzenden und die Einführung der unterstützten Entscheidungsfindung fordere. Zudem kritisierte sie, dass in den Reformprozess nur Jurist*innen involviert gewesen seien, aber keine Vertreter*innen von DPOs. … In Bezug auf Art. 19 UN BRK wies Theresia Degener darauf hin, dass auch das Leben in kleinen Wohngruppen immer noch ein Leben in einer Einrichtung bedeute und nicht gleichzusetzen sei mit einem individuellen, selbstbestimmten Leben. Von den Ausschussmitgliedern wurden Informationen gewünscht, wie die Gelder des Europäischen Sozialfonds (ESF) für Deinstitutionalisierung und gemeindenahe Assistenzdienste eingesetzt würden. …
Großbritannien … (Problem der) sozialen Kürzungen und deren teils katastrophalen Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit Behinderungen. … (Man) beklagte, dass sich Dezentralisierung und Brexit negativ auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen auswirkten … neue Strategie der Regierung für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen. Es sei ein Beauftragter für häusliche Gewalt eingesetzt worden, der darauf achten solle, dass auch lokal bedarfsgerechte Unterstützungsdienste verfügbar sind. … In Bezug auf Genitalverstümmelung, so die Delegation, gebe es eine Beschwerdestelle, die Anzeigen entgegennimmt und untersucht. Die Stelle diene auch der Vorbeugung, damit Kinder etwa zum Zweck eines Eingriffs nicht außer Landes gebracht werden können. Besorgt äußerte sich Theresia Degener zum Umgang mit Flüchtlingen mit Behinderungen. So seien bereits minderjährige Flüchtlinge abgewiesen worden, weil man mit ihnen nicht “umgehen” könne. … Abschließend forderte Theresia Degener die Regierung Großbritanniens auf, die Vorbehaltsklauseln gegen die Konvention (z.B. gegen Art. 24 UN BRK) aufzuheben. Das Land sehe sich gern in der Vorreiterrolle. Führend in der Umsetzung von Behindertenrechten zu sein, bedeute aber auch, Verantwortung zu übernehmen.
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